Verwandte Gene: Handel und Politik auf einer Seite
© ARGE Gentechnik-frei/APA-Fotoservice/Rastegar
Genfrei-ZoneFrank Hensel (Rewe Int.), Florian Faber (ARGE Gentechnik-frei), Pamela Rendi-Wagner (Gesundheitsministerin), Andrä Rupprechter (Landwirtschafts- und Umweltminister), Markus Schörpf (ARGE Gentechnik-frei), Gerhard Drexel (Spar Öst., v.l.).
RETAIL daniela prugger 05.05.2017

Verwandte Gene: Handel und Politik auf einer Seite

Der Schulterschluss bei gentechnikfreien Produkten ist breit. Aber in der Sache fehlt es an Tiefgang.

••• Von Daniela Prugger

Es war im April 1997, als sich ein beachtlicher Teil der österreichischen Bevölkerung klar gegen Gentechnik auf den heimischen Feldern, in den Supermarktregalen und auf den Tellern aussprach. 20 Jahre und 1,226 Mio. Unterschriften ist das nun her. Für die Bundesregierung, die Organisation ARGE Gentechnik-frei und die größten Handelskonzerne des Landes, Spar und Rewe International, ein Grund zu feiern. Gemeinsam, Seite an Seite – ein Schulterschluss.

„Als erstes Land der EU haben wir 2015 die Gentechnik-freiheit im Anbau sogar in der Verfassung verankert. Ich bin sehr stolz, dass uns das gelungen ist, und bin überzeugt, dass unser Weg der richtige ist”, sagte Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter.
Rewe-Chef Frank Hensel berichtet aus der Handelsperspektive: „Kein einziges Produkt, das in den Handelsfirmen der Rewe International AG angeboten wird, ist gentechnisch verändert und das wird so bleiben.” Mitbewerber Gerhard Drexel von der Spar AG, der in dieser Angelegenheit zum Kumpel mutiert, betont, dass hier Einzigartiges für die Gesundheit der Bevölkerung und die Sicherheit der Umwelt geschaffen wurde. „Diese Partnerschaft hat den Siegeszug des Gentechnik-frei-Standards ermöglicht und Österreich zum weltweiten Vorreiter gemacht,” ist er überzeugt.
Tatsächlich sind ‚Gentechnisch Veränderte Organismen', also GVO, in Österreich noch nicht zu kommerziellen Zwecken angebaut worden. Auch einen Testanbau für wissenschaftliche Zwecke außerhalb geschlossener Bereiche wie Gewächshäusern hat es in Österreich laut dem Umweltbundesamt so nie gegeben. Für GV-Pflanzen, die in der EU eine Anbauzulassung haben, bestehen in Österreich Anbauverbote.
„Die gentechnikfreie Landwirtschaft in Österreich ist zweifellos eine Erfolgsstory. Trotzdem können wir noch nicht von einem komplett gentechnikfreien Österreich sprechen”, erklärt der Landwirtschaftsexperte von Greenpeace Österreich, Sebastian Theissing-Matei.
So sei zum Beispiel die Verwendung einer Reihe von importierten GV-Produkten durchaus auch in Österreich erlaubt – allen voran gentechnisch veränderte Sojabohnen.

Gentechnik bei Futtermitteln

In einem kleinen Umfang sind aus GVO erzeugte Lebensmittel daher auch im österreichischen Handel erhältlich, informiert das Umweltbundesamt. Diese Produkte – z.B. einige importierte Asia-Nahrungsmittel – unterliegen den Kennzeichnungsregelungen und müssen für Konsumenten erkennbar gekennzeichnet sein.

Auch im Bereich Futtermittel sieht der Greenpeace-Vertreter noch Handlungsbedarf. „Über den Umweg der Futtermittel landet nach wie vor gentechnisch verändertes Essen auf unseren Tellern”, sagt Theissing-Matei. „Noch immer werden in Österreich jedes Jahr 350.000 t Gentech-Soja verfüttert, vor allem in der Schweinemast. Milch, Frischeier und Hühnerfleisch werden in Österreich bereits ohne Gentech-Futter produziert. Das zeigt, dass Gentechnikfreiheit bei Futtermitteln möglich ist. Die Schweine-Branche muss jetzt endlich handeln und die Gentechnik aus den Futtertrögen verbannen.”
Auch die Aussage Frank Hensels, in den Regalen von Rewe befänden sich keine Produkte, die gentechnisch verändert sind, will Theissing-Matei so nicht gelten lassen: „Es stimmt schon, dass kein Produkt direkt gentechnisch verändert ist. Allerdings kann Rewe sich nicht auf die Fahnen heften, nur gentechnikfreie Ware anzubieten.”
Über den Umweg der Futtermittel landen noch immer Gentech-Lebensmittel in den Supermärkten. Denn auch wenn die Tiere mit gentechnisch verändertem Soja gefüttert wurden, werden Schweine- und Rindfleisch nicht eigens gekennzeichnet. „Es liegt hier auch in der Verantwortung des Lebensmitteleinzelhandels, Änderungen zu erwirken”, sagt Theissing-Matei.

Kennzeichnungslücke

Auch AK-Umweltexpertin Iris Strutzmann will Österreich seine führende Rolle bei gentechnikfreien Lebensmittel und gentechnikfreier Landwirtschaft nicht streitig machen. Aber: Künftig solle „auf der Fleisch-Verpackung stehen, ob gentechnisch veränderte Futtermittel verwendet wurden”. Diese Lücke in der EU-Gentechnik-Verordnung müsse geschlossen werden. Während die Milch-, Frischeier- und Hühnerfleischproduzenten in Österreich bereits auf gentechnikfreies Futter umgestellt haben, werden an Schweine und Rinder nach wie vor gentechnisch produzierte Futtermittel verfüttert. „Und dies muss nicht auf der Verpackung gekennzeichnet werden. Das gilt auch für Importe von Rind- oder Schweinefleisch nach Österreich”, sagt Strutzmann. In der Europäischen Union gibt es seit Anfang der 90er-Jahre Regelungen für die Verwendung von GVOs. Sie dient vor allem dem Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt, aber auch dem freien Warenverkehr von zugelassenen GVO-Produkten in allen Mitgliedsstaaten der EU. Eine europaweite Harmonisierung der bis jetzt existierenden nationalen Gentechnik-frei-Kennzeichnungssysteme hat es bis dato noch nicht gegeben.

Neue Herausforderungen

Derzeit bewirtschaften die USA rund 40% der Ackerfläche mit gentechnisch verändertem Saatgut, Brasilien 31%. Argentinien und Paraguay bauen sogar auf zwei Drittel der Ackerflächen gentechnisch veränderte Pflanzen an. Die Warnungen vor Antibiotika-Resistenzen und den Gefahren, die Monokulturen für das Ökosystem bergen, reißen nicht ab – die Forschung an neuen Methoden, um Organismen gentechnisch zu verändern, genauso wenig.

Ob neue Züchtungstechniken den strengen EU-Rechtsvorschriften zu gentechnisch veränderten Organismen unterliegen sollen oder nicht, wird derzeit in Europa diskutiert. „New Plant Breeding Technologies” (NPBT) sind so ein Fall. Denn bei dieser Anwendung wird direkt in das Genom von Pflanzen eingegriffen. „Diese neuen Techniken müssen unter die geltende EU-Regulationen fallen”, fordert Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner. Aufgrund fehlender Langzeitstudien gebe es keine Sicherheit für Konsumenten.
Als problematisch sehen ­Umwelt- und Entwicklungsverbände die geplante Übernahme des US-Agrarkonzerns Monsanto durch den Bayer-Konzern. Kritiker fürchten eine Konzentration der Marktmacht. Durch die Fusion entstünde ein „Mega-Agrochemie-Unternehmen, das den Weltmarkt dominieren wird, und gegenüber Landwirten und Verbrauchern deutlich höhere Preise durchsetzen könnte”, sagte Nordrhein-Westfalens Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) vor Kurzem.
Außerdem drohe die Einführung von „unerwünschten gentechnischen Produkten durch die Hintertür”. Er befürchtet die Entstehung eines „Mega-Agrochemie-Unternehmens”.

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