••• Von Christian Novacek
Wels bündelt und vernetzt alle Akteure im Bereich Betriebsansiedelung und Standortmarketing – ein in Österreich bislang einzigartiges Modell. Im Interview: „Strippenzieher” Peter Jungreithmair.
medianet: Laut Standort+Markt lautet der Wachstumskaiser in den Innenstädten auf Leerstand. Wie ist die Situation in Wels?
Peter Jungreithmair: In Wels konnten wir hier einen Gegentrend einleiten. Mitte 2015 belief sich die Leerstandsquote auf 10,5%, per Ende 2017 aktuell auf 4,2% nach Verkaufsflächen – während in Österreichs Innenstädten die Leerstandquote im gleichen Zeitraum von 4,5 auf 5,4% gestiegen ist.
medianet: Wie schaut der Mieter- bzw. Shoppingmix Wels in den A-Lagen aus? Welche Rolle spielen regionale Betriebe?
Jungreithmair: 57% der Fläche in der A-Lage bieten ein mode-affines Angebot rund um das Thema Bekleidung, also Textil, Schuhe, Wäsche. Zum Vergleich liegt hier der Österreich-Schnitt bei 44%. In der A-Lage liegt Wels mit einem Filialisierungsgrad von 62,7% deutlich über dem Österreich-Schnitt von 58,2%. Filialbetriebe werden in der Standortwahl zunehmend kompromisslos und meiden B- und C- Lagen. Hier bildet sich somit die wieder gewonnene Attraktivität in den Welser A-Lagen für Filialbetriebe ab. Einschließlich der B-und C-Lagen liegt der Filialisierungsgrad mit 34,5% deutlich unter dem Ö-Schnitt von 39,9%. Dies liegt an den vielen inhabergeführten, regionalen und ansässigen Betrieben.
medianet: Inwieweit gleicht der Mietermix in der Welser City dem der großen Einkaufszentren?
Jungreithmair: Der Mietermix in der Welser City zeichnet sich durch zahlreiche Alleinstellungsmieter im Bereich der Filialbetriebe aus, die es häufig nur in der Innenstadt gibt, bzw. durch die vielen inhabergeführten, ansässigen und regionalen Betriebe mit individuellem und kompetentem Angebot sowie hoher Beratungskompetenz für die Welser Kunden. Die breite gastronomische Vielfalt mit innerstädtischem Flair hebt sich deutlich vom Gastroangebot in den SCs in Wels ab.
medianet: Welche Rolle spielt die Gastronomie in der Welser Innenstadt? Gibt es Konzepte, die einander ausschließen?
Jungreithmair: Vielfältiges und wertiges Gastronomieangebot gewinnt an Bedeutung und wird zunehmend zum Treffpunkt und lädt zum Verweilen in der Innenstadt ein. Vom Frühstücksbrunch über zahlreiche Speiselokale bis hin zu den Szenelokalen in der Nacht bietet die Welser Gastronomie hier ein umfassendes Angebot zur Freizeitgestaltung. Während im Handel in der Innenstadt reine Diskonter fast gänzlich verschwunden sind, gibt es im Bereich der Filial-Systemgastronomie in der City durchaus noch Luft nach oben, um weitere Zielgruppen anzusprechen.
medianet: Nach welchen Kriterien erfolgt die Suche nach ansiedlungswilligen Betrieben? Wie sensibel muss man bei der Suche nach Ansiedlungswilligen vorgehen?
Jungreithmair: Wir sind jährlich mehrmals in Kontakt mit allen Anbietern in den jeweiligen Branchen, insbesondere jenen, die in Wels noch nicht vertreten sind, da wir im Stadtgebiet Wels ja grundsätzlich alle Segmente bedienen können bei einer Gesamtverkaufsfläche von 272.000 m². So wissen wir auch laufend, wie die einzelnen Anbieter die einzelnen Handelslagen in Wels sehen. Standortentscheidungen müssen reifen, und diese Prozesse bedürfen zunehmend einer gewissen Vorlaufzeit, Datenmaterial, Beratung und Vorbereitung. Die Versorgung mit passenden Flächen, um in eine entscheidende Diskussion eintreten zu können, ist dann der ‚Schlüssel zum Erfolg'. Aus diesem Grund betreiben wir auch in der City ein intensives pro-aktives Flächenmanagement und sind in ständigem Kontakt mit den Eigentümern.
medianet: Wie unterschiedlich ist die Herangehensweise bei gewerblichen Betrieben im Industrieviertel im Vergleich zur Händlersuche für die Innenstadt?
Jungreithmair: Natürlich gibt es in Innenstädten andere Rahmenbedingungen als in der Peripherie, daher ist eine zielgerichtete Ansprache von Betrieben, kombiniert mit einer laufenden Imagearbeit einer Stadt, in der Frühphase der Akquisition entscheidend. Bei gewerblichen Ansiedlungen sind Herausforderungen in Wels ganz anders, durch hohen Expansionsdruck der Unternehmen steht hier die Versorgung mit neuen Green- oder Brownfields (Brachflächen) im Vordergrund; die Interessenten kommen von selbst.
medianet: Wie haben sich unter Einflussnahme des Ansiedlungsmanagements die Mietpreise entwickelt? Wie hoch sind die Mieten im Vergleich zu Linz? Im Vergleich zur PlusCity?
Jungreithmair: Eine unserer wichtigsten Tätigkeiten ist die Beratung der Eigentümer in der Bereitstellung von Flächen mit marktkonformen Mietpreisen. Durch unsere laufende Akquise und Begleitung von neuen Mietern kennen wir das Marktgefüge sehr genau. In A-Lagen haben sich die Spitzen-Kaltmieten bei Neuabschlüssen (< 60 m² Verkaufsfläche) nach einer erfolgten Marktanpassung stabilisiert und zeigen nun wieder eine leichte Tendenz nach oben; in Linz liegen diese in den A-Lagen traditionell deutlich höher.
medianet: Was habe ich unter einem proaktiven Leerflächenmanagement zu verstehen?
Jungreithmair: Wir sind mit allen Eigentümern und Immobiliendienstleistern in der Innenstadt in laufendem Austausch. So können wir frühzeitig auf neue Entwicklungen reagieren. Alle Portalflächen und Eckdaten sind systematisch erfasst; wir verfügen somit laufend über ein Pool an Objekten und Interessenten, die wir vernetzen bzw. interagieren lassen können. Durch unseren ‚Immofinder' unter www.wels.at/immobiliensuche machen wir zudem unser Angebot und jenes von Maklern am Markt transparent.
medianet: Mit welchem Zeithorizont werden die Flächen vergeben? Wie hoch ist die Fluktuationsrate im Vergleich zu anderen Städten oder Einkaufszentren?
Jungreithmair: Bei Anfragen von regionalen Betrieben oder Neugründern können wir durch den vorhandenen Pool an Objekte oft binnen weniger Wochen einen Abschluss fixieren. Bei Filialbetrieben kann der Locationsprozess von Anbahnung bis Abschluss zwischen sechs Monaten und zwölf Monaten dauern. Die Fluktuationsrate liegt in Wels mit 15,9% aktuell noch über dem Ö-Schnitt von 12,3% für Innenstädte. Sie ist aber nicht nur negativ besetzt, denn hier zeigt sich auch die hohe Dichte an Nachbesetzungen und erfolgreichen Übersiedelungen mit Erhalt am Standort.
medianet: Standort+Markt erhebt auch die Situation der Einkaufsstraßen und rankt diese. Wo war da Wels und wo ist es heute?
Jungreithmair: Mitte 2015 war Wels bei der Leerstandquote am letzten Platz aller 22 in Österreich erhobenen Innenstädte. Ende 2017 rangierte Wels bereits auf Rang 12 und ist in Oberösterreich die Nr. 1 vor Linz und Steyr. Im Jahr 2016 erfolgten in der Innenstadt 64 Eröffnungen, im Jahr 2017 waren es 55. Das Stadtbild hat sich dadurch maßgeblich zum Besseren gewandelt und lädt wieder zum Verweilen ein.
medianet: Wie lebendig ist die Welser City? Wie kann man B-Lagen attraktiv gestalten?
Jungreithmair: Ein neues Angebot bringt neues Publikum zurück in die Innenstadt. Bei den B-Lagen geht der Weg nur über Anbieter mit Spezialisierung, Individualität und Alleinstellung im Angebot und mehr Dienstleistungsangebot. Dort, wo Platz für Schanigärten ist, ist sicherlich Gastronomie eine Möglichkeit, wie man mittlerweile am Welser Stadtplatz erfolgreich sehen kann.
medianet: Wenn mehr Geschäfte eröffnen als schließen, steht das naturgemäß für Expansion. Wo liegt die Expansionsgrenze? Welche Branchen sollten stärker vertreten sein?
Jungreithmair: Der Fokus liegt für uns nicht auf Flächenexpansion. Vielmehr geht es darum, die Leerstände wenn möglich noch weiter abzusenken, den Branchen-und Mietermix weiter zu optimieren, die bestehende A-Lage sukzessive wieder auszuweiten durch eine Aufwertung der betroffenen Straßenzüge in Kombination von städtebaulichen Maßnahmen (z.B. Neugestaltung Stadtplatz und Kaiser-Josef-Platz) und neuem Angebot in der City. Im Bereich Handel würden wir uns im Segment ‚Bekleidung' noch mehr Angebot für das junge Publikum wünschen: Wels hat ca. 12.500 Schüler und ca. 2.000 Studenten überwiegend im Stadtzentrum. Potenziale sehen wir auch im wertigen Sport-Segment, bei Mode-Vollsortimentern sowie im Segment Elektro/Elektronik und Wohnaccessoires.
medianet: Einkaufszentren nehmen für sich gern Pionierrollen in Anspruch, speziell wenn es darum geht, neue Händler nach Österreich zu bringen. Welche Pionierrolle kann eine Stadt wie Wels für sich beanspruchen?
Jungreithmair: Eine Stadt braucht einen ‚Gesamtansatz' auf allen Ebenen mit Fokus auf Wohnen, Leben, Freizeit und Arbeit sowie Attraktivität für das Umland und ein Image. Im Zuge der Neupositionierung wurde ein Bündel an Maßnahmen als klare Zielsetzung definiert, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Das Wirtschaftsservice Wels (WSW) ist eine der ersten Maßnahmen, die zur Umsetzung gelangte. Die Bündelung und Vernetzung aller Akteure im Bereich Betriebsansiedelung und Standortmarketing ist ein in Österreich bislang einzigartiges Modell. Wels hat durch eine hohe Zahl an erfolgreichen Unternehmen, die hier auch ihr Headquarter haben, und eine lebendige, inhabergeführte Betreiberstruktur ideale Voraussetzungen für einen intensiven Austausch mit seinen Stakeholdern.
medianet: Wie haben sich die Aktivitäten des WSW auf Arbeitsplatzsituation und Wirtschaftsregion ausgewirkt?
Jungreithmair: Im Jahr 2017 wurden 733 neue Arbeitsplätze durch WSW-begleitete Projekte im Rahmen der gewerblichen Betriebsansiedelung und des Leerflächenmanagements geschaffen; weiters konnten 412 Arbeitsplätze erhalten bzw. am Standort abgesichert werden.
medianet: Was sind die wichtigsten Projekte bzw. Ansiedlungen für 2018?
Jungreithmair: Durch die Ansiedelung der Modekette Ulla Popken am Stadtplatz 9-10 wurde ein mehrjähriger Leerstand (510 m² Gesamtfläche) in sehr exponierter Lage gelöst. Mit ‚Backwerk' das Gastro- und Snack-Angebot in der Fuzo Bäckergasse auf ca. 100² weiter aufgewertet. ‚basler beauty' auf Ringstraße 24 mit ca. 124 m² ist ein wichtiger Schritt in der Ringstraße. Das neue Gastronomiekonzept ‚Naschmarkt' der Familie Ploberger am Kaiser-Josef-Platz, die ‚Joe´s Radwerkstatt' in der Dr. Koss-Straße und die auf Eigenproduktion setzende ‚Gärtnerei Kroißböck' bereichern inhabergeführte Unternehmen den Branchen- und Mietermix in der Region Wels.
Im Bereich der gewerblichen Betriebsansiedelung hat das marktführende und in Wels ansässige Unternehmen ‚Pharma-Logistik Austria' weitere 10.600 m² Hochregallager in Wels-West angemietet, die Spedition ‚Nothegger' und der in Wels ansässige Werkzeugspezialist ‚Kellner & Kunz' jeweils 8.000 m² Logistik-Erweiterungsflächen in Wels-Pernau.
medianet: Kann und soll ein Wirtschaftsservice Wels Vorbildwirkung für andere Städte haben?
Jungreithmair: Der Ansatz und die Erfolge des WSW zeigen, dass es in den Regionen außerhalb von Weltmetropolen immer wichtiger wird, sich im Standortwettbewerb mit dem Thema der Betriebsansiedelung für bestehende und neue Unternehmen und des Standortmarketings auch auf öffentlicher Ebene professionell auseinanderzusetzen, da hier Peer Groups der Immobilienbranche kaum aktiv sind. Wels hat es hierbei geschafft, ohne neue Strukturen aufzublähen, in Zeiten knapper Budgets eine optimale Plattform der Kooperation am Standort zu etablieren.