••• Von Britta Biron
LINZ. Bei der Besetzung von Top-Positionen geht es in erster Linie um die fachliche Kompetenz der Bewerber. Susanne Seher und Helga Töpfl, geschäftsführende Gesellschafterinnen von Seher + Partner Personalconsulting, halten das für einen Fehler und plädieren dafür, einen stärkeren Fokus auf die sozialen Fähigkeiten der Führungskräfte zu legen.
medianet: Was verstehen Sie konkret unter emotionaler Intelligenz?
Susanne Seher: Die Fähigkeit, negative Emotionen weniger stark zuzulassen und positive Gefühle gezielt zu verstärken. Sehr wichtig ist beispielsweise, Entscheidungsprozesse offenzulegen und Mitarbeiter miteinzubeziehen.
medianet: Was spricht für mehr emotionale Intelligenz in den Chefetagen?
Seher: Fachliche Themenstellungen werden heute zunehmend von ausgewiesen Experten und in naher Zukunft ohnehin immer mehr von Künstlicher Intelligenz abgedeckt werden. Am besten wäre es, wenn sich Betriebe zwei Personen auf Führungsebene leisten können – eine, die die fachliche Ebene abdeckt, und eine, die das Soziale übernimmt. Das ist aber natürlich eine Kostenfrage. Den klassischen Chef, der von oben herab regiert, wollen viele nicht mehr.
Helga Töpfl: Junge Leute suchen im Beruf oft eine Art zweites Zuhause, sie wollen sich dort wohlfühlen. Daher müssen Manager oft eine Vorbild- und Mentorenrolle übernehmen und es schaffen, ihre Mitarbeiter für die Arbeit zu begeistern. Viele Arbeitssuchende wollen empathische, authentische Chefs. Sie wollen, dass man mit ihnen auf Augenhöhe kommuniziert. Und sie wollen vor allem dazugehören. Eine Führungskraft, die es nicht schafft, ein Wir-Gefühl zu vermitteln, wird weder geeignete Mitarbeiter finden noch lange halten können.
medianet: Kann man emotionale Intelligenz trainieren?
Seher: Situationen erzeugen automatisch Gefühle. Die hat man sich meist über Jahre antrainiert, sie sind deshalb nur schwer beeinflussbar. Was man aber ändern kann, ist die subjektive Wahrnehmung und Bewertung einer Situation. Wer versucht, jeder Situation etwas Positives abzugewinnen, wird weniger negative Gefühle erfahren. Und wer sich selbst gut kennt, kann somit auch kritische Situationen besser einschätzen und entsprechend reagieren.
medianet: Für fachliche Kompetenzen gibt es Zeugnisse – wie kann man die emotionale Intelligenz eines Bewerbers erkennen?
Seher: Wir arbeiten mit kompetenzorientierten Frage- und Interviewtechniken. Das ist eine relativ einfache Möglichkeit, die Kandidaten dazu zu bringen, Situationen oder Erfahrungen aus ihren vorherigen Stellen zu beschreiben. Da sie sich auf solche Fragen nicht oder nur unzureichend vorbereiten können, erhöht diese Fragetechnik die Wahrscheinlichkeit, echte, weniger gelernte Antworten zu bekommen.
medianet: Ist emotionale Intelligenz von Führungskräften in allen Branchen gleich wichtig?
Seher: Überall dort, wo Menschen zusammenarbeiten, ist emotionale Intelligenz gefragt und aus unserer Sicht von großer Bedeutung.
Töpfl: Bei den Branchen, mit denen wir tagtäglich zu tun haben (Anm. Lebensmittel, Einzel- und Großhandel, Hotellerie, Gastronomie und Tourismus), sehen wir hier keinen Unterschied. Emotionale Intelligenz soll ja vor allem den ohnehin bereits sehr stressigen Berufsalltag positiv unterstützen und beeinflussen.
medianet: Laut dem US-amerikanischen Beratungsinstitut TalentSmart bringt hohe emotionale Intelligenz ein höheres Gehalt – im Schnitt um 29.000 US-Dollar mehr pro Jahr. Zahlt sich Empathie also im wahrsten Sinne des Wortes aus?
Töpfl: Die emotionale Intelligenz spielt unserer Meinung nach eine wesentliche Rolle in der Karriere eines Menschen. Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren extrem gewandelt. Durch die Digitalisierung ist alles viel schneller und mobiler geworden. Die emotionale Intelligenz hat hier noch mehr an Bedeutung und auch an Wertigkeit gewonnen.
medianet: Eine heuer durchgeführte Umfrage der Employer Branding-Agentur Universum hat gezeigt, dass emotionale Intelligenz beim Recruiting von Fachkräften in Österreich eine vergleichsweise große Rolle (Rang fünf der meistgesuchten Kompetenzen) spielt. Deckt sich dieses Ergebnis mit Ihren Erfahrungen?
Seher: Ja, wir können definitiv bestätigen, dass die Wichtigkeit des Themas bei HR-Verantwortlichen angekommen ist. Allerdings spiegelt sich diese Entwicklung noch nicht 1:1 bei Letztentscheidern wie CEOs, Eigentümern und Fachvorgesetzten wider. Hier gibt es noch Bewusstseinsdefizite.