••• Von Reinhard Krémer
Die Vertrauenskrise im Finanzsektor hält an: Nach der Silicon Valley Bank und der Signature Bank musste in den USA mit der First Republic Bank Anfang Mai eine weitere Regionalbank vor dem Kollaps gerettet werden – in diesem Fall durch das Eingreifen von JP Morgan, sagt Arun Singh, Globaler Chefvolkswirt des Daten- und Analysenanbieters Dun & Bradstreet. Der Absturz der First Republic Bank kam freilich nicht überraschend, so Singh: „Schon im April haben wir auf die Probleme und den massiven Abfluss von Einlagen bei dem kalifornischen Institut hingewiesen. Wir halten es für möglich, dass noch weitere regionale US-Institute mit einem ähnlichen Bilanz- und Geschäftsprofil zu Notfällen werden könnten.” Zwar ist es beruhigend, dass die ertragsstarken amerikanischen Großbanken bereit sind, als schützender Hafen für kriselnde kleinere Institute zu fungieren. Als Problem könnten sich jedoch die verschlechternden Kreditbedingungen in den USA erweisen.
Erhöhte Kreditausfälle drohen
Dies auch darum, weil infolge der sich verlangsamenden US-Wirtschaft erhöhte Kreditausfälle drohen.
Das Risiko, dass weitere Dominosteine fallen und der Bankensektor von neuerlichen Panikattacken erschüttert wird, besteht also fort. Interessante Hinweise zur globalen Wirtschaftsentwicklung lieferten die Daten zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) für das erste Quartal 2023. Sie deuten in nahezu allen Volkswirtschaften auf eine Konjunkturabschwächung hin, sagt der Experte.
„Die Aussichten für Nordamerika stufen wir weiterhin als ‚verschlechtert' ein. So blieb das BIP-Wachstum in den USA in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres mit annualisierten 1,1 Prozent hinter den Erwartungen zurück. Insbesondere der Immobilienmarkt neigt zu Schwäche”, erläutert Singh.
„X-Date” steht vor der Tür
Zudem schwebt über der größten Volkswirtschaft der Welt das Damoklesschwert der Zahlungsunfähigkeit, sollte der Kongress nicht einer Aussetzung der Schuldenobergrenze zustimmen. Dieser im US-Sprachgebrauch als „X-Date” bezeichnete Tag könnte früher eintreten als erwartet, warnt der Dun & Bradstreet-Mann.
In den USA besteht die Gefahr neuerlicher Bankenzusammenbrüche und eines rauer werdenden Kreditumfelds weiter. Dieser Aspekt hat die US-Notenbank Fed dazu veranlasst, den Zinserhöhungszyklus früher zu stoppen, als es die Inflationsdynamik wahrscheinlich rechtfertigen würde. „Alles in allem haben die Abwärtsrisiken für die US-Wirtschaft zugenommen, auch wenn eine vollumfängliche Rezession noch immer nicht unserem Basisszenario entspricht”, so Singh.
Kerninflation in Europa steigt
In der Europäischen Union belief sich das Wirtschaftswachstum im ersten Quartal 2023 laut Eurostat auf 0,3% und in der Eurozone auf 0,1%.
Auch wenn einige Frühindikatoren Anlass zu moderatem Optimismus geben, sehen sich die europäischen Volkswirtschaften weiterhin mit Herausforderungen konfrontiert. Zwar befindet sich die Gesamtinflationsrate in vielen Ländern Westeuropas auf dem Rückzug, so der Volkswirt.
Ein Grund für eine Entwarnung ist das aber nicht, denn die Kerninflation (also die Teuerung ohne Energie, Nahrungsmittel, Alkohol und Tabak) legte zuletzt weiter zu.
Leitzinsen weiter nordwärts
Von daher dürfte die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen noch weiter erhöhen, bevor sie im Laufe der zweiten Jahreshälfte vermutlich eine Pause einlegen wird, erwartet Arun Singh.
Vom gestiegenen Kreditrisiko in den europäischen Volkswirtschaften zeugt die zunehmende Zahl an Insolvenzen. Sie legten im vierten Quartal 2022 um saftige 27% gegenüber dem Vorquartal zu.
In Asien profitiert China
„Die Konjunkturaussichten für den asiatisch-pazifischen Raum erachten wir als ‚stabil', wenngleich das Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr hinter dem des Vorjahres zurückbleiben dürfte”, meint der Dun & Bradstreet-Chefwolkswirt.
Ausnahmen sind Festlandchina, die Sonderverwaltungszone Hongkong und Thailand. China profitiert von Nachhol-effekten nach dem Ende der Null-Covid-Politik des Landes und wird wahrscheinlich sein Wachstumsziel von rund fünf Prozent in diesem Jahr erreichen. Davon werden kurzfristig die eng mit der chinesischen Wirtschaft verflochtenen asiatischen Volkswirtschaften profitieren, während diejenigen Länder der Region, die stark in die europäischen und US-amerikanischen Märkte exportieren, einen Rückgang der Auslandsnachfrage verzeichnen werden.
„Unterm Strich gehen wir davon aus, dass Chinas ‚Wachstumsdividende' nach der Wiedereröffnung nur begrenzte positive Effekte für den Rest der Welt haben wird”, ist Singh überzeugt.
Bei Öl droht Verknappung
Der Ölpreis für die Sorte Brent hat sich zuletzt bei rund 80 USD pro Barrel eingependelt.
Im weiteren Jahresverlauf könnte es infolge von Angebotsverknappungen jedoch zu Preissteigerungen bis auf 100 USD kommen.
Dies zum einen, weil das EU-Embargo für raffinierte russische Ölprodukte in Kraft getreten ist. Zum anderen, weil die beschlossene Produktionskürzung durch die OPEC von Nicht-OPEC-Ländern aufgrund ihrer begrenzten Kapazitätsreserven vermutlich nicht vollständig kompensiert werden kann.