Den Frischlingen geht bald die Luft aus
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FINANCENET Redaktion 13.01.2023

Den Frischlingen geht bald die Luft aus

EY-Start-up-Barometer: Finanzierungen brechen ein – Standort in Gefahr – staatliche Anreize sind gefragt.

••• Von Reinhard Krémer

Nachdem 2021 weltweit alle Rekorde im Hinblick auf Start-up-Finanzierungen geknackt wurden, haben steigende Zinsen, wirtschaftliche Unsicherheiten, Inflation und eine drohende Rezession das Marktumfeld stark eingetrübt. Die Kombination dieser Faktoren und die wirtschaftliche Lage veranlassen Risikokapitalfinanzierer weltweit zu mehr Zurückhaltung und sorgen für ein deutliches Abbremsen am Finanzierungsmarkt für Start-ups und Scale-ups.

In den Zahlen für 2022 lässt sich diese deutliche Eintrübung des Finanzierungsmarkts für österreichische Start-ups eindeutig im zweiten Halbjahr ablesen. Nach einem sehr starken ersten Halbjahr mit insgesamt 881 Mio. € Investments – einer neuen Rekordmarke – ist der Markt im zweiten Halbjahr 2022 deutlich eingebrochen: In den vergangenen sechs Monaten wurden nur noch 125 Mio. € investiert – das sind um 83% weniger als im Vorjahreszeitraum.

Volumen deutlich gesunken

Damit liegt das Volumen auf dem Niveau der beiden 2020er-Halbjahre, nachdem es zuvor drei Halbjahre in Folge gestiegen war und – insbesondere aufgrund von Megadeals – Werte jenseits der 500 Mio. €-Marke erreicht hatte.

Die Zahl der registrierten Abschlüsse hat hingegen im siebten Halbjahr in Folge die Marke von 50 übertroffen. Gegenüber dem ersten Halbjahr 2022, das mit 79 Finanzierungsrunden das anzahlmäßig abschlussstärkste Halbjahr im Untersuchungszeitraum war, ging die Zahl der Deals im zweiten Halbjahr allerdings deutlich zurück – um 17 auf 62.
Das sind Ergebnisse des Start-up-Barometers Österreich der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY. Berücksichtigt wurden Unternehmen mit Hauptsitz in Österreich, deren Gründung höchstens zehn Jahre zurückliegt.
In Österreich gab es 2022 einen Rückgang der Finanzierungssumme um 18% von 1,23 auf 1,0 Mrd. €. Das ist immer noch das zweithöchste Investmentvolumen, das je innerhalb eines Jahres in österreichische Start-ups investiert wurde.

Zwei Wale bringen die Hälfte

Allerdings vereinigten die zwei großen Finanzierungsrunden von GoStudent mit 300 Mio. € sowie TTTech Auto mit 250 Mio. € rund 55% des gesamten Investitionskapitals auf sich.

Auch die weiteren Top-Investments des Jahres fanden im ersten Halbjahr statt: Die Top Fünf nach Volumen komplettieren Waterdrop und PlanRadar mit je 60 Mio. € sowie der Logistik-Spezialist byrd mit 53 Mio. €.

Markt deutlich ruhiger

„Nachdem es im ersten Halbjahr noch dank einiger Millionenrunden, die noch 2021 verhandelt wurden, einen neuen Finanzierungsrekord gab, ist der Markt im zweiten Halbjahr deutlich ruhiger geworden. Gerade bei der Wachstumsfinanzierung, die in Österreich fast ausschließlich durch internationale Investorengruppen getätigt wird, wird sich die bereits in der zweiten Jahreshälfte zu beobachtende starke Zurückhaltung von Risikokapitalgebern auch in den nächsten Monaten niederschlagen”, sagt Florian Haas, Head of Start-up bei EY Österreich.

Die Anzahl der Finanzierungsrunden für österreichische Start-ups ist 2022 um rund 16% von 122 auf 141 gestiegen.
Das durchschnittliche Volumen der Deals, bei denen eine Summe veröffentlicht wurde, ist aufgrund der gestiegenen Anzahl an Deals und dem Rückgang beim Volumen deutlich um rund 25% von rund zwölf Mio. auf 8,92 Mio. € gesunken. 2020 wurden durchschnittlich pro Finanzierungsrunde lediglich 4,5 Mio. € investiert – rund die Hälfte von 2022.

Größer ist besser

Der Trend zu größeren Finanzierungsrunden in Österreich hielt auch 2022 an, allerdings mit einem leichten Rückgang im Vergleich zum Rekordjahr 2021: Die Anzahl an großen Deals mit Volumina von mehr als zehn Mio. € ging von 16 auf zehn zurück. Die Deals mit mehr als einer Mio. € Volumen blieben mit jeweils 45 in 2022 und 2021 gleich. Bei den Finanzierungsrunden unter einer Mio. € gab es einen Anstieg von 61 auf 80.

Die meisten Finanzierungsrunden wurden 2022 im Softwarebereich abgeschlossen. Mit SaaS, Artificial Intelligence, Virtual Reality, Blockchain, Cloud, Cyber Security sowie Data Analytics umfasst dieser Bereich Start-ups mit neuen Technologien.
Hier wurden mit 39 Finanzierungsrunden sogar acht mehr gezählt als im Vorjahr. Die Bereiche E-Commerce, Health und Mobility verzeichneten mit 19 bzw. 15 bzw. zwölf Finanzierungsrunden jeweils die gleiche Anzahl an Deals wie im Vorjahr. Nachdem 2021 aufgrund der Coronapandemie der Gesundheitsbereich deutlich zulegte, rangieren wieder eindeutig Tech-Unternehmen ganz oben in der Gunst der Investorengruppen.

Wien bleibt der Hotspot

Erneut gab es in Wien besonders viele Investitionen – die Hauptstadt konnte ihren Vorsprung als Start-up-Hotspot gegenüber den anderen Bundesländern wieder klar behaupten: Mit 81 Finanzierungsrunden (2021: 73) vereinigten die Hauptstadt-Jungfirmen 57% der hierzulande gezählten Finanzierungsrunden auf sich (2021: 60%). Auf Rang zwei folgt Oberösterreich, wo 21 Finanzierungsrunden gezählt wurden (2021: 18), vor der Steiermark, deren Start-ups es auf 15 Finanzierungsrunden (2021: 14) brachten.

Rote Laterne fürs Burgenland

Fünf Bundesländer verzeichneten 2022 mehr Finanzierungsrunden als im Vorjahr; nur in Vorarlberg wurde mit einem Deal ein Abschluss weniger als im Vorjahr gezählt. In Salzburg blieb die Zahl der Finanzierungsrunden konstant. In Kärnten und dem Burgenland gab es wie schon im Vorjahr keine Finanzierungsrunde. Das mit weitem Abstand meiste Kapital konnten erneut Wiener Start-ups einwerben: Mehr als drei von vier hierzulande in Start-ups investierte Euro wurden 2022 in Wiener Jungunternehmen investiert. Sieben der zehn größten Finanzierungsrunden betrafen Start-ups, die in Wien ansässig sind. Der Standort Steiermark belegt mit einem Marktanteil von rund neun Prozent Rang zwei vor Oberösterreich, das es 2022 auf einen Marktanteil von rund sechs Prozent bringt.

Fokus auf Nachhaltigkeit

Für Investorengruppen liegt der Fokus bei Investments in Start-ups eindeutig auf den Themen Digitalisierung und neue Technologien. Als zweiter wesentlicher Bereich hat Nachhaltigkeit in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. 2022 wurden 17 Finanzierungsrunden verzeichnet, die einen Sustainability-Bezug aufweisen.

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