Einst belächelt und jetzt heiß begehrt
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FINANCENET Redaktion 24.06.2022

Einst belächelt und jetzt heiß begehrt

Nachhaltige Geldanlagen erreichen einen neuen Rekordwert – Privatanleger-Veranlagungen explodieren.

••• Von Reinhard Krémer

WIEN. Knapp jeder dritte Euro wird in Österreich bereits nachhaltig angelegt – das zeigt der aktuelle Marktreport des Forums Nachhaltige Geldanlage (FNG). Nach einem bereits in den Vorjahren spürbar gestiegenen Interesse haben private Anleger im Jahr 2021 massiv in nachhaltige Geldanlagen investiert. Das von ihnen gehaltene Anlagevolumen stieg um 164% von zwölf Mrd. € auf den neuen Höchststand von 31,70 Mrd. €. In der Folge erhöhte sich der Anteil der von Privatanlegern gehaltenen, nachhaltigen Kapitalanlage auf rund 56%. Im Gegenzug sank der Anteil der institutionellen Investoren am in Österreich unter Anwendung von umweltbezogenen, sozialen und auf eine verantwortungsvolle Unternehmensführung bezogenen Kriterien – kurz: ESG-Kriterien – verwalteten Kapital auf 44%, trotz eines nochmaligen Zuwachses von 2,07 Mrd. auf insgesamt 25,39 Mrd. €. Damit wurde in Österreich erstmals mehr Geld von Privatanlegern nachhaltig angelegt als von institutionellen Investoren.

„Mit einem Marktanteil von 28,2 Prozent sind nachhaltige Geldanlagen im Mainstream angekommen”, erklärt Wolfgang Pinner, Leiter des FNG Österreich. „Private Anlegerinnen und Anleger haben dabei eine zentrale Rolle gespielt. Triebfeder der Entwicklung war allerdings die Regulierung, welche dazu führte, dass heutzutage nachhaltige Fonds viel breiter angeboten werden.”

Wachstum von 62 Prozent

Rund 38,39 Mrd. € wurden per 31.12.2021 in nachhaltigen Publikumsfonds, 23,03 Mrd. € in nachhaltigen Spezialfonds investiert. Damit lag das Volumen bei Publikumsfonds um 81% über dem Vorjahreswert, bei Spezialfonds um 37%. Erstmals hat das FNG dabei im Rahmen des Marktberichts die Fonds als nachhaltige Geldanlagen erfasst, die auf Basis der Vorgaben der Offenlegungsverordnung als Artikel-8- oder Artikel-9-Fonds klassifiziert sind. 84% der im Rahmen der Studie berücksichtigten Publikumsfonds waren dabei als Artikel-8-Fonds ­deklariert, 16% als Artikel-9-Fonds.

100% Anteil bei Spezialfonds

Bei den Spezialfonds lag der Anteil der Artikel-8-Fonds bei 100%. Der Marktanteil nachhaltiger Publikums- und Spezialfonds am Gesamtfondsmarkt stieg auf 28,2%.

Berücksichtigt man neben den nachhaltigen Publikums- und Spezialfonds auch die Kundeneinlagen der im Marktbericht erfassten Spezialbank mit Nachhaltigkeitsfokus (1,58 Mrd. €), ergibt sich für die nachhaltige Geldanlage in Österreich ein Gesamtvolumen von 63 Mrd. €. Dies entspricht einem Zuwachs von rund 62% gegenüber dem Vorjahr.

Ausschlusskriterien stark

Durch die Nutzung von Ausschlusskriterien werden Emittenten von der Kapitalanlage ausgeschlossen, die den Zielen und Werten der Anleger widersprechen oder mit besonders hohen nachhaltigkeitsbedingten Risiken verbunden sind.

Wie in den Vorjahren kam diese Anlagestrategie bei rund 99% aller nachhaltigen Publikums- und Spezialfonds in Österreich zur Anwendung. Besonders häufig werden dabei Unternehmen ausgeschlossen, die in kontroversen Geschäftsfeldern wie der Kohleförderung und -verstromung, der Herstellung von Waffen und Rüstungsgütern oder der Produktion von Tabakprodukten aktiv sind.
Auch Unternehmen, die in Menschen- oder Arbeitsrechtsverletzungen involviert sind, werden von einem hohen Anteil der nachhaltigen Anleger von der Kapitalanlage ausgeschlossen.
Auf Rang 2 der nachhaltigen Anlagestrategien kam das normbasiere Screening, bei dem Investments im Hinblick auf ihre Konformität mit bestimmten internationalen Standards und Normen, z.B. dem UN Global Compact und den ILO-Kernarbeitsnormen überprüft werden.

Unternehmenspapiere gefragt

Rang 3 erreichte der Best-in-Class-Ansatz. Die höchste Wachstumsrate erzielte die Engagement-Strategie, bei der sich das beeinflusste Vermögen gegenüber dem Vorjahr verdoppelte.

Mehr als jeder dritte in nachhaltige Publikums- und Spezialfonds angelegte Euro (39%) war per 31.12.2021 in Aktien investiert, 30% in Unternehmensanleihen.
Damit flossen insgesamt 69% aller nachhaltigen Geldanlagen in von Unternehmen emittierte Wertpapiere. 28% der nachhaltigen Geldanlagen entfielen auf Staatsanleihen, drei Prozent auf sonstige nachhaltige Geldanlagen, darunter auch nachhaltige Immobilienfonds.
Wie die nachhaltigen Geldanlagen haben auch die verantwortlichen Investments per Ende 2021 einen neuen Rekordwert erreicht – mit insgesamt rund 134,14 Mrd. € lag ihr Volumen um rund 18% über dem Vorjahreswert.

Zuwächse querfeldein

In die Berechnung der verantwortlichen Investments fließen neben den nachhaltigen Geldanlagen auch solche Kapitalanlagen ein, bei denen Nachhaltigkeitskriterien nicht auf Produktebene für einzelne Publikums- und Spezialfonds definiert werden, sondern auf institutioneller Ebene für alle Kapitalanlagen berücksichtigt werden.

Der Anteil der nachhaltigen Geldanlagen an den verantwortlichen Investments lag am Ende des Berichtsjahres bei rund 47%.

Was Wachstum bringt

Für das laufende Jahr erwarten alle im Rahmen des Marktberichts befragten Experten ein weiteres Wachstum des nachhaltigen Kapitalmarkts. Rund jeder Dritte (30%) rechnet dabei mit einem Wachstum von bis zu 15%. 35% erwarten Wachstumsraten zwischen 15 und 30%, ebenso viele sogar von mehr als 30%.

Schlüsselfaktoren für die weitere Entwicklung des nachhaltigen Kapitalmarkts sind nach Einschätzung der Befragten Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen, die Nachfrage der institutionellen Investoren sowie verstärkte Marketingaktivitäten der Anbieter und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Reputation.
Insbesondere die zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen zählende Integration der ESG-Präferenzabfrage in die Beratungsgespräche wird auch die Nachfrage der privaten Anleger weiter steigern, so das FNG. Sie landet auf Rang 5 der Schlüsselfaktoren für die weitere Marktentwicklung.

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