••• Von Reinhard Krémer
WIEN/LONDON. Die Koffer habe er noch nicht gepackt, sagt Florian Hartig: „Es wird wohl auch keine dramatischen Veränderungen bei bestehenden Arbeitsgenehmigungen geben.” Für neue Arbeitsgenehmigungen rechnet der Banker, der seit 20 Jahren in London arbeitet, nach dem erfolgten Austritt aber sehr wohl mit Schwierigkeiten. „Unterm Strich haben das Hauptproblem der ganzen Sache die Engländer. So werden auch die Märkte noch eine Weile volatil bleiben.”
Der Tod der Londoner City
Beim Finanzplatz London könnte sich sehr wohl einiges ändern, so Hartig: „Man munkelt in Banker-kreisen, Banken wie JP Morgan könnten nach Madrid und französische Banken nach Paris und etwa die Deutsche Bank nach Frankfurt abwandern. Bis zu 70.000 Jobs aus der Finanzwelt könnten aus London auf den Kontinent verlegt werden.”
Dazu käme auch der Kostenfaktor, der viele Unternehmen verleiten könnte, der City schnell den Rücken zu kehren: „Ein Job im Finanzbereich, der dem Unternehmen hier 100.000 Pfund, also rund 120.000 Euro pro Jahr kostet, ist am Kontinent für nur 60.000 Euro zu haben – das ist ein gravierender Kostenfaktor.”
Glücklich mit dem Ausgang des Referendums sind jedenfalls viele nicht, auch einige der Befürworter nicht, sagt Florian Hartig: „Es hat sich gezeigt, dass einige Versprechen, die gemacht wurden, einfach nicht oder nur bedingt der Wahrheit entsprechen. Man kann nicht sagen: Dieses Land ist im Freudentaumel – vielmehr sind viele Menschen zutiefst verunsichert.”
Noch dazu droht das Auseinanderbrechen Britanniens: „Wenn Schottland geht, könnte das ebenfalls neue Probleme zeitigen, denn der Haupthandelspartner der Schotten sind natürlich die Engländer. Wenn dann die einen in der EU sind, die anderen aber nicht, und Zölle eingeführt werden, könnte das sehr schwierig für den Handel werden.”
Jungen die Zukunft genommen
Für die irische Staatsbürgerschaft angestellt hat sich der Brite Alastair McEwen, der fast sein ganzes Leben in Österreich verbracht hat, noch nicht: „Ich überprüfe gerade, ob ich einen schottischen Pass bekomme”, feixt der Boss der Donau Brokerline.
Die Motive für die Brexit-Entscheidung sieht McEwen in der starken Migration nach Britannien – und in unseriösen Lösungsmöglichkeiten begründet: „Nicht an allem, was in Großbritannien schiefgelaufen ist, ist Brüssel schuld. Das waren Entscheidungen, die in Downing Street 10 getroffen wurden. Die Argumente der Brexit-Befürworter waren in Wahrheit eine krasse Irreführung der Bevölkerung. Und ganz besonders schlimm: Man nimmt den jungen Leuten mit dem Brexit die Zukunft.” Die Älteren, die Zeit ihres Lebens von den Vorteilen der EU über die letzten Jahrzehnte profitiert haben, haben dies jetzt, wie die Demografie zeigt, mit ihrem mehrheitlichen „Leave” der jungen Generation genommen, ist McEwen überzeugt. Zum Austritt Großbritanniens aus der EU sieht der Chef der Donau Brokerline keine Alternative: „Es wird jetzt in der Folge zu einem Domino-Effekt kommen: Schottland, Nordirland und Teile von Wales werden sich von Großbritannien verabschieden.”