Lebensversicherer als „nächste große Bombe”?
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Weinberger: „Polizzen in Österreich wurden mit geringerer Verzinsung verkauft.”
FINANCENET 22.05.2015

Lebensversicherer als „nächste große Bombe”?

Niedrigzinsen Deutsche Assekuranzen können wegen widrigem Umfeld ihre Zinsversprechen nicht erwirtschaften

Situation der heimischen Versicherer ist weit weniger dramatisch, beruhigen Versicherungsexperten.

Wien/München. Die deutschen Lebensversicherer, einst Synonym für Solidität und Sicherheit, stehen vor gewaltigen Problemen. Die Ratingagentur Moody's hat zuletzt die Branche als „die riskanteste der Welt” eingestuft. Die Ursache ist schnell ausgemacht: das von der EZB-Intervention geschaffene Niedrig- bis Negativzinsumfeld.

Wie sieht die Situation in Österreich aus? Weit weniger dramatisch, meinen heimische Experten und führen dafür einige Gründe ins Treffen.

„Größte Gefahr”

Das Problem der deutschen Lebensversicherungen entsteht aus einem recht unangenehmen Spread: Einerseits sind sie zu einem Großteil – um die 90% – in Staatsanleihen veranlagt, die wenig bis gar keine Zinsen bringen, andererseits haben sie, wie die Tageszeitung Die Welt schreibt, ein Drittel oder mehr der Polizzen mit Zinsversprechen von 4% in ihrem Bestand. 50% der Polizzen sind mit 3,5% garantiert. 35 Anbieter haben mehr als die Hälfte Verträge im Bestand, die mit 3,25% oder höher verzinst werden.
Ein nahezu unlösbares Problem, scheint es, solange die Zinsen bleiben, wo sie sind. So warnt auch der IWF, dass die Lebensversicherungen eine der größten Gefahren für die Stabilität des europäischen Finanzsystems seien.
„Jeder in der Branche kennt die Lage, aber keiner weiß Abhilfe. Das ist dieselbe Situation, wie wir sie in der Immobilienwirtschaft hatten, bevor sie die letzte schwere Finanzkrise auslöste”, meint auch der Finanzstratege Antonio Sommese. Und er gibt einen Eindruck vom Umfang des Problems: Allein in der EU hätten die europäischen Versicherer rund 4,4 Billionen Euro veranlagt.
In den letzten Tagen ist ein Hoffnungsschimmer in Form von steigenden Anleihezinsen aufgetaucht (siehe dazu auch Seite 37) – ob das ausreichen wird, das Problem zu lösen, wird sich erst zeigen.

Vorteile in Österreich

Wie schaut es bei den heimischen Versicherern aus? Bei Weitem nicht so dramatisch, meint KPMG-Experte Georg Weinberger. Dafür sprechen einige Gründe. So seien hierzulande nicht so viele Versicherungen mit einer Verzinsung von um die 4% verkauft worden. Auch seien die heimischen Versicherer naturgemäß in großem Umfang in österreichische Staatsanleihen investiert und die haben durch den üblichen Spread auf deutsche eine etwas bessere Verzinsung.
Ähnlich sieht das Christoph Krischanitz, Geschäftsführer der arithmetica Versicherungs- und finanzmathematische Beratungs-GmbH: In Österreich seien hochverzinste Lebensversicherungen in viel kürzerer Zeitspanne verkauft worden. Die Durchschnittsverzinsung bei den bestehenden Verträgen sei daher deutlich geringer.
Dazu kommt, dass in Deutschland die Pensionen gewöhnlich schon bei Abschluss garantiert wurden, hierzulande gebe es bei Versicherungsende meist eine Kapitalablöse. In Deutschland gebe es also eine viel längere Garantiezeit als bei heimischen Verträgen. Und schließlich könne noch ein grundsätzlicher Unterschied beim Gewinnbeteiligungssystem helfen: Während in Deutschland die versprochenen Zinsen auch tatsächlich aus den Zinserträgen gezahlt werden müssen, sind in Österreich Querfinanzierungen möglich. so können etwa Sterblichkeitsgewinne oder Kostengewinne zur Befriedigung der Zinsgarantie herangezogen werden. Krischanitz erwartet für die heimischen Versicherer daher „keine große Bombe” wegen der Tiefzinsen: „Die Unternehmen sind gewappnet.”

Heuer weitere Senkung?

Die Branche versuche laut Robert Lasshofer, General der Wr. Städtischen, „entlang der Höchstzinsverordnung der FMA den Rechnungszins herabzumischen”. Man habe schon seit Längerem begonnen, verstärkt in Aktien und Immobilien umzuschichten, die Immobilienquote in der Veranlagung betrage ca. 8%, so Lasshofer bei einer FMVÖ-Diskussion. Er geht davon aus, dass die Finanzmarktaufsicht den Höchstzins für Neuverträge heuer weiter kürzen wird. Für Generali-Vorstand Peter Thirring sind nicht die tiefen Zinsen das unmittelbare Problem, wenngleich eine Herausforderung; eine Anpassung der Geschäftsmodelle müsse folgen. Die tiefen Zinsen greifen die Unternehmensgewinne an, gefährdeten aber nicht die Zusagen an die Versicherten.
Ungemach könnte aber auch drohen, wenn die Anleihenzinsen zu rasch wieder anziehen, was Preis-Verfall verursacht und Abschreibungsbedarf bei institutionellen Anlegern. Thirring: „Im Deckungsstock werden Bonds zum Niederstwertprinzip bewertet, in der UGB-Welt trifft uns das nicht.”(ks/lk)

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