Ärzte kritisieren Industrialisierung
© panthermedia.net/SIphotography
HEALTH ECONOMY Martin Rümmele und Ina Schriebl 06.05.2016

Ärzte kritisieren Industrialisierung

Die wachsende Ökonomisierung in Krankenhäusern macht Ärzten Sorgen. Sie sehen im steigenden Druck Gefahren für die Versorgung.

••• Von Martin Rümmele und Ina Schriebl

In der jüngsten Vergangenheit haben sich die Probleme vor allem wegen Kapazitätsengpässen in den Spitälern verschärft. Bei einer Netzwerk- und Informationsveranstaltung der Bundeskurie der Angestellten Ärzte der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) betonten führende Ärztekammervertreter die überragende Bedeutung einer Gesamtsicht im Gesundheitswesen im Gegensatz zu reiner Ökonomisierung von Planung und Leistungserbringung. „Man muss alle Perspektiven des Gesundheitswesens betrachten und beachten – nicht nur die Ökonomisierung, auch die Perspektive der Patienten sowie die Sichtweise aller jener Menschen, die im österreichischen Gesundheitswesen arbeiten”, sagte Artur Wechselberger, Präsident der Österreichischen Ärztekammer. Mit einer rein ökonomischen Sichtweise komme man nicht vorwärts. „Wenn Sie nur Zahlen betrachten, werden Sie nur Zahlen ernten.”

Klar ist: Krankenhäuser sind teuer und sollen billiger werden. Und das machen wie in vielen anderen Wirtschaftsbereichen zunehmend Spitalsmanager, die an Wirtschaftsuniversitäten ausgebildet wurden und längst nicht mehr im Medizinbetrieb groß geworden sind. Controller und Consulter übernehmen das Sagen, Krankenhäuser werden zu Wirtschaftsbetrieben und in der Folge zu Konzernen zusammengefasst, um möglichst effizient geführt zu werden. Das Kerngeschäft sei die möglichst optimale Behandlung von Patienten, alles andere sollen Profis übernehmen.
Hier habe sich einiges an Handlungsbedarf aufgestaut. „Es ‚zwickt' an allen Ecken und Enden”, so Bundeskurienobmann und ÖÄK-Vizepräsident Harald Mayer. In den vergangenen Jahrzehnten sei es zu einer Industrialisierung des Spitalsalltags gekommen. Ärzte würden vom System wie „normale” Angestellte in anderen Branchen gesehen. Fazit: „Kanzleiarbeiten machen wir zu einem Drittel.” In Österreich wird der Anteil der Dokumentationsarbeit an den Tätigkeiten der Spitalsärzte mit 40% angesetzt. Das führe fast automatisch zu einer Demotivierung der Ärzteschaft in den Spitälern, zu Stress, mangelnder Attraktivität bis hin zu „oft ungenügender Ergebnisqualität” bei der Betreuung von Patienten trotz immer mehr möglicher und auch eingesetzter technischer Mittel.

Ärzte steigen aus

Wie gefährlich die Situation für das österreichische Gesundheitswesen bereits ist, belegte der stellvertretende Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte mit aktuellen Zahlen aus der Ärztestatistik: „2013/2014 gab es 1.346 Absolventen des Medizinstudiums in Österreich. In die Ärztelisten eingetragen haben sich 896 Ärzte. Nach einem Jahr waren davon aber nur noch 835 in den Ärztelisten eingetragen. Viele junge Kollegen sind bereits desillusioniert worden.”

Effizienz dürfe nicht zur Abschaffung des Menschlichen führen. So lautete auch der Grundtenor der Vortragenden beim 13. Forum Hospital Management, das kürzlich in Wien stattgefunden hat. Ökonomen und Mediziner diskutierten dort auf Einladung von AKH Wien, Vinzenz Gruppe und WU Executive Academy über das Thema Effizienz und Ökonomisierung im Krankenhaus. „Ökonomisierung und Effizienz sind in einem Krankenhaus kein Widerspruch. Wir werden keinesfalls ökonomische Interessen über die Medizin stellen. Gute Medizin und Pflege sind aber nur möglich, wenn es eine gute ökonomische Basis gibt”, sagte AKH-Direktor Herwig Wetzlinger.
„Derzeit erleben wir intensive Debatten über die künftige Gestaltung unseres Gesundheitswesens. Die Diskussionen werden vor allem aus ökonomischem Blickwinkel geführt. Es finden zurzeit Konzentrationen und Fusionen in der Spitalslandschaft statt. „Das sind Begriffe, die wir nur aus der Wirtschaft kennen. Wir haben es in Oberösterreich selber auch getan. Fusionen sind nichts Böses, sondern hervorragend, wenn man Kompetenzen bündelt”, betonte der Vinzenz Gruppe-Vorstand Michael Heinisch.

Auslagerungen helfen sparen

Wie das konkret aussieht zeigte sich etwa in Vorarlberg: Im Jahr 2008 wurde in Rankweil eine Zentralsterilisation für die Vorarlberger Krankenhausbetriebsgesellschaft (KHBG) eröffnet – ein damals österreichweit einzigartiges Projekt. Nun bilanzierte der Landesrechnunghof zwar Einsparungen, aber auch einige Abstimmungsprobleme. Anfang 2012 folgte beim Krankenhaus Feldkirch eine Zentralküche; mit einem Partner werden daraus alle Krankenhäuser beliefert. Im Vorjahr hat die Unternehmensgruppe Wozabal eine Ausschreibung der KHBG gewonnen und übernimmt den gesamten Bereich Wäsche, Berufsbekleidung und OP-Versorgung. Das oberösterreichische Unternehmen hat dazu für sechs Mio. € eine neue Wäscherei in Rankweil gebaut. Wozabal sieht sich selbst nicht nur als Marktführer, sondern vor allem als Technologieführer im Bereich Miet­wäsche in Österreich.

Für die einen sind solche Entwicklungen ein Segen, für andere – meist Mediziner – ein Fluch. Jedenfalls werden Prozesse gestrafft und nicht selten dann auch Krankenhäuser zusammengelegt. Für ganz Kärnten gibt es etwa nur noch eine Augenambulanz am neuen Klinikum in Klagenfurt, in Wien sollen wie berichtet die städtischen Spitäler zu sieben Standorten zusammengeführt werden; die Versorgung soll so besser werden. Selbst Patientenanwalt Gerald Bachinger ist überzeugt: „Die Konzentration durch die Bildung von Kompetenzzentren und die Rationalisierung ist aus meiner Sicht durchgehend als positiv zu sehen und führt vor allem zu längst fälligen Qualitätssteigerungen durch höhere Fallzahlen und mehr fachliches Know-how.”
Das könnte aber – so kritisieren zunehmend Ärzte – dazu führen, dass der Patient, um dessen Behandlung es eigentlich geht, in den Hintergrund rückt. Giovanni Maio, deutscher Mediziner und Philosoph vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Freiburg, beim Forum Hospital Management: „Wir können uns kein Missmanagement leisten. Wir müssen im Interesse der Beitragszahler einen guten finanziellen Einsatz garantieren.” Gerade deswegen müsse man dafür kämpfen, dass in der Medizin keine industriellen Werte, sondern Beziehungswerte vorherrschen. Der Medizinethiker kritisierte aber besonders das Diktat der Zeitökonomie; Maio: „Wenn sich heute Ärzte oder Pflegende Zeit für Patienten nehmen, geraten sie schnell in den Verdacht der Verschwendung.” Menschen in Heilberufen seien aber nicht dazu angetreten, das Notwendigste zu tun, gute Medizin werde damit verunmöglicht: „Wer krank ist, braucht nicht nur eine Reparatur, sondern auch Einfühlsamkeit.”

Menschlichkeit geht verloren

Vor allem, weil schon allein Zuwendung und Gespräch heilen, wie Studien immer wieder belegen. Das weiß auch Heinisch: „Der Mensch ist dem Menschen immer noch die beste Medizin. Im Gesundheitswesen geht es am Ende um Menschlichkeit.” Er wünscht sich, dass die eingesparten Mittel von den patientenfernen Bereichen direkt zu den Patienten selbst wandern, um ihnen mehr Zuwendung zu bieten. In die gleiche Kerbe schlug Fred Luks, Leiter des Kompetenzzentrums für Nachhaltigkeit an der Wirtschaftsuniversität Wien beim Forum Hospital Management: „Effizienz kann, wenn sie sich vom Mittel zum handlungsleitenden Ziel wandelt, zu Nicht-Nachhaltigkeit, Dummheit und Krankheit beitragen”, so seine Hypothese. „Wenn Mittel zur Erreichung bestimmter Ziele knapp sind, ist der effiziente Umgang mit diesen Mitteln eine rationale Strategie. Wenn man besser versorgte Patienten will, ist es sinnvoll, die für Gesundheit zur Verfügung stehenden Mittel effizient einzusetzen. Problematisch wird Effizienz dann, wenn Augenmaß und angemessene Mittelverwendung verdrängt werden – wenn Effizienz­orientierung als Effizienzverbissenheit aus dem Ruder läuft.”

Bessere Ausbildung

Will man diese Situation ändern, sind mehrere Maßnahmen zu treffen, wie Brigitte Ettl, Ärztliche Leiterin des Krankenhauses Hietzing in Wien, bei der Ärztetagung vergangene Woche betonte: „Wir müssen unsere jungen Kollegen besser ausbilden, damit sie später in der niedergelassenen Praxis jene Aufgaben erfüllen können, auf die wir angewiesen sind.” Die zweite wichtige Maßnahme: „Wir brauchen einen funktionierenden Informationsfluss vom Spital zu den niedergelassenen Kollegen und zurück. Wir stellen jetzt auf ein System um, bei dem jeder Patient auch nach einem Besuch in der zentralen Notfallaufnahme auf jeden Fall mit einem schriftlichen Bericht an den niedergelassenen Arzt nach Hause geschickt wird.”

Wolfgang Buchberger, Medizinischer Direktor der Tirol Kliniken, war einer der vielen Experten an der Ärztetagung, die den Zulauf ins Spital mit organisatorischen Ursachen in Verbindung brachten: „Wir werden übermäßig häufig aufgesucht, weil es keinen geregelten Zugang gibt.” Statistisch gesehen, würde schon jeder vierte Österreicher einmal im Jahr stationär ins Krankenhaus aufgenommen. „Es gibt pro Jahr 17 Millionen Ambulanzfrequenzen”, sagte Buchberger.
Die Gesetzgebung trage zu der Misere bei. „Versorgung am Gängelband inflationärer Gesetzesbestimmungen” betitelte ­Renate Wagner-Kreimer, Juristin in der Bundeskurie Angestellte Ärzte, ihren Vortrag. So gebe es allein zehn Krankenanstaltengesetze sowie etwa 32 verschiedene Dienstrechte (Bund, Bundesländer, Gemeinden). Genauso zersplittert seien die Berufsrechte und -pflichten der Gesundheitsberufe. Die Anregung der Juristin für die Zukunft: „Wir sollten das Gesundheitssystem von morgen gemeinsam planen. Die Ärzte müssen einbezogen werden, nur sie wissen, wo der Schuh drückt.” Jede zusätzliche rechtliche Norm verdecke noch mehr die Sicht auf das Wesentlichste: das Wohl der Patienten.

BEWERTEN SIE DIESEN ARTIKEL

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL