Konflikt um Arzneipreise steuert auf Höhepunkt zu
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HEALTH ECONOMY 09.10.2015

Konflikt um Arzneipreise steuert auf Höhepunkt zu

Die Kassen machen Druck auf Pharmafirmen, Apotheken und Großhandel und wollen sparen. Die Branche kontert mit Studien.

••• Von Martin Rümmele

Die Arzneimittelbranche klafft zunehmend auseinander. Auf der einen Seite gibt es beinahe laufend milliardenschwere Übernahmedeals oder Zukäufe einzelner Medikamente – nicht zuletzt, um fehlende Forschungserfolge zu kompensieren –, auf der anderen Seite punkten einzelne Hersteller mit hochpreisigen, innovativen Produkten. Das zeigt sich nun auch in den aktuellen Zahlen des Marktbeobachters IMS Health. Der Retailmarkt – basierend auf den Großhandelsverkäufen an die öffentlichen Apotheken und ärztlichen Hausapotheken – wies im August ein Umsatzwachstum von 2,6 % im Vergleich zur Vorjahresperiode auf; rechne man aber die vergangenen zwölf Monate, verzeichnet der Retailmarkt ein bemerkenswertes Wachstum von 6,2%.

Hochpreisprodukte bringen Plus

Dafür seien in erster Linie sogenannte Specialty Drugs verantwortlich – allen voran Präparate gegen Hepatitis C, die mittels neuer Produkte nun binnen drei Monaten fast komplett heilbar ist. Welche Rolle derartige hochpreisige Produkte – eine Behandlung kostet bis zu 160.000 € – spielen, zeigt sich, wenn man die Produkte aus der Statistik weglässt; dann liegt das Retailwachstum nur noch bei 3,2%.

Am deutlichsten wird die Entwicklung, wenn man die zehn größten Hersteller am österreichischen Pharmamarkt betrachtet, die zusammengerechnet immerhin einen Marktanteil von 43,1% haben. Wachstumssieger ist das amerikanische Biotechunternehmen Gilead, das – mit einem Plus von mehr als 80% und getrieben durch Hepatitis C-Präparate – zur Nummer 3 in Österreich aufgestiegen ist, hinter den Riesen Novartis und Pfizer und vor allen anderen Konzernen.
Angesichts derartiger Zahlen steigen die Krankenkassen nun (wie berichtet) auf die Kostenbremse und fordern von der Industrie höhere Rabatte in den Verhandlungen zum Pharmarahmenvertrag. Und dort stockt nun die Verlängerung, obwohl mit dem alten System alle zufrieden waren. Pharmig-General Jan Oliver Huber wünscht sich von den Kassen, dass man mit Arzneimitteln Kosten im Gesundheitswesen spare, und nicht beim Arzneimittel selbst. Er sieht dafür aber wenig Bewegung: „Es ist de facto so, dass wir immer noch weit auseinander liegen. Wir haben ein Angebot mit 65 Millionen Euro plus fünf Millionen Euro für Gesundheitsziele vorgelegt; das ist sehr fair.” Die vom Hauptverband geforderten 125 Mio. € hätten nichts mit der Entwicklung auf dem Arzneimittelmarkt zu tun. Bei Apotheken und Großhandel sinken die Erträge, bei der Industrie verdienen nur einige wenige Unternehmen mit hochpreisigen Produkten gut.
Die Kassen sehen das anders und drohen nun mit Zwangsrabatten über eine gesetzliche Lösung. Die Arzneimittelbranche konterte am Dienstag mit Studien und argumentiert, dass die von den Kassen kritisierten Kostenanstiege bei den Medikamentenausgaben nur kurzfristig waren und bereits wieder sinken, sagte Apothekerkammer-Vizepräsident Christian Müller-Uri. Er erwartet für heuer ein Plus von maximal 5%. „Es gab im August ein Plus von 4,8 Prozent; im September liegen wir bei plus 1,4 Prozent.”
Die Arzneimittelpreise bei kassenpflichtigen Medikamenten seien in Österreich unter dem Durchschnitt vergleichbarer EU-Länder und der Schweiz. Das Gleiche gilt für die Spannen von Großhandel und Apotheken, argumentierten nun Vertreter der Pharmaindustrie, des Pharmagroßhandels und der Apothekerkammer bei der gemeinsamen Pressekonferenz.

Neue Pharma-Studie

Im Gepäck hatten sie eine neue Studie des Instituts für Pharmaökonomische Forschung (IPF). IPF-Expertin Evelyn Walter: „In die Analyse sind alle erstattungsfähigen Arzneimittel aus dem Apothekenmarkt eingeflossen.” Pro Kopf wurden demnach im Vorjahr in Österreich bei den erstattungsfähigen Arzneimitteln 19,15 Packungen pro Kopf und Jahr verbraucht. Spitzenreiter war Frankreich (38,8), danach kamen zum Beispiel Griechenland (25,75) und Großbritannien (25,13). Am Ende der Skala befanden sich die Baltischen Länder mit knapp unter zehn Packungen. „Im erstattungsfähigen Markt ist der Arzneimittelverbrauch Österreichs im Vergleich der EU mit Minus 3,3% leicht unterdurchschnittlich”, rechnet Walter vor. Ähnliches gilt für die verbrauchten Einzeltabletten. Da liegt Großbritannien mit 1.246,25 an der Spitze, Österreich sei mit 742,25 im EU-25-Durchschnitt.

Der Fabriks-Abgabepreis pro Packung liegt laut der Untersuchung im EU-Durchschnitt bei rund zehn €, in Österreich beträgt dieser Wert 12,34 €. Finnland nimmt mit 22,49 € pro Packung den Spitzenwert ein, in Rumänien sind es 4,48 €. Entscheidend sind für die Krankenkassen aber die Gesamtpreise. Im erstattungsfähigen Markt beträgt der Kassenpreis ohne Umsatzsteuer pro Packung 15,97 € und liegt somit 7,12% unter dem EU-15-Schnitt, der bei 17,20 € liegt. „Zwischen 2010 und 2014 sind die Arzneimittelausgaben in Österreich um insgesamt sechs Prozent gewachsen; in der gleichen Zeit ist die Inflation um neun Prozent gewachsen”, sagt Pharmig-Generalsekretär Huber. Auch die österreichische Apothekenspanne liege mit 2,61 € pro Durchschnittspackung unter dem Schnitt der EU-25-Länder von 2,92 € und der EU-15-Länder mit 3,57 €.

Ausgaben für Selbsthilfegruppen

Ebenfalls diese Woche erschien in diesem Zusammenhang eine andere Studie, die für Diskussionen sorgte, und ahnen ließ, mit welchen Mitteln der Konflikt derzeit geführt wird. Erhoben wurde erstmals das Ausmaß des Pharma-Sponsorings – in einer Studie des Ludwig Boltz­mann Instituts für Health Technology Assessment (LBI-HTA). Mit über einer Mio. € – genau genommen 1,145.717 € – unterstützen Pharmafirmen österreichische ­Patienteninitiativen im Vorjahr. Das meiste Geld ging an die Österreichische Multiple Sklerose Gesellschaft, gefolgt von der Österreichischen Hämophilie-Gesellschaft und der Parkinson Selbsthilfe ­Österreich.

„Die Unterstützung von Pharmafirmen ist wichtig für Patienten- und Selbsthilfegruppen. Die Zuwendungen dürfen aber nicht dazu führen, dass diese ihre Unabhängigkeit verlieren”, betonte Claudia Wild, Leiterin des LBI-HTA. Eine zentrale Aufgabe vieler Patienten­organisationen sei die Beratung von Betroffenen und ihren Angehörigen. Dabei dürfen aber weder Empfehlungen für Therapien, Medikamente noch für Medizinprodukte gegeben werden.

Industrie gibt sich transparent

Seit dem Jahr 2009 legen die Mitgliedsunternehmen der Pharmig, des Verbands der pharmazeutischen Industrie Österreichs, ihre Zahlungen an Patientenorganisationen freiwillig offen. Ein Verhaltenscodex fordert, dass alle finanziellen, nicht-finanziellen und indirekten Zuwendungen auf den Websites der Unternehmen transparent – mit Höhe und Verwendungszweck – dargestellt werden.

Zu den spendabelsten Pharmafirmen zählten demnach im Vorjahr Novartis (251.440 €), Abbvie (131.079 €), Lundbeck (108.143 €) und Roche (104.050 €). Die meisten Zuwendungen (63%) gingen an Patientenorganisationen in den vier Bereichen Neurologie, Hämato-Onkologie, Rheumatologie und Hämophilie. Vergleichsweise bescheiden fielen die Zuwendungen an Initiativen im Bereich Herz-Kreislauferkrankungen und HIV/Aids aus.

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