••• Von Reinhard Krémer
Als der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich zu einem offiziellen Besuch in Kenia eintraf, entrierte er nicht nur 25.000 Arbeitsplätze für Kenianer in Deutschland – daran könnte man sich in Österreich angesichts des bedrohlichen Personalmangels durchaus ein Scheiberl abschneiden –, sondern holte sich auch Inspiration bei den zahlreichen „grünen” Energiegewinnungsprojekten in dem ostafrikanischen Land. Denn in Kenia ist man bereits dort, wo Europa noch hin will: Der Großteil des Stroms wird bereits aus erneuerbaren Energiequellen erzeugt.
Mit einer installierten Stromkapazität von 2.819 MW erzeugt Kenia derzeit 838 MW Wasserkraft, 1.100 MW Geothermie, 749 MW Wärmekraft (Kohle oder Öl; Anm.), 437 MW Windkraft und den Rest aus Solar- und Biomassequellen. Kenia ist der größte geothermische Energieproduzent Afrikas und verfügt auch über den größten Windpark des Kontinents. In sieben Jahren will das Land Energie ausschließlich aus erneuerbaren Quellen produzieren; aktuell liegt die Quote bei 92%.
Geothermie in Naivasha
Und besonders die Geothermie hatte es dem deutschen Kanzler angetan – hier kann sich Europa durchaus ein Beispiel nehmen, denn Kenia ist der achtgrößte Geothermieproduzent der Welt und – wie gesagt – der größte Geothermieproduzent in Afrika. Es war eines der ersten Länder in Afrika südlich der Sahara, das geothermische Energie in erheblichem Umfang nutzte.
Die Erkundung geothermischer Ressourcen im kenianischen Rift Valley begann schon in den 1950er-Jahren und gewann in den 1960er-Jahren an Dynamik. Die heimische OMV hat ein Erkundungsprojekt dazu in Niederösterreich laufen (siehe Kasten unten). Auch die Wien Energie arbeitet an einer ersten Tiefengeothermie-Anlage für die Bundeshauptstadt, die 2026 in Betrieb gehen soll.
Mit bisher über 300 gebohrten Brunnen bezieht Kenia fast die Hälfte seiner Energie – genau sind es aktuell 47% – aus Geothermieanlagen, das ist ein größerer Anteil als jedes andere Land der Erde.
Strom aus Afrika für Europa
Die Lage des Landes entlang des ostafrikanischen Grabenbruchs, der durch die Abspaltung der arabischen Erdplatte von der afrikanischen entstand, und die vulkanische Aktivität der Region bieten beste Bedingungen für die Nutzung von Erdwärme. Das Potenzial der Geothermie wird dort auf zehn Gigawatt geschätzt.
Das Kraftwerk Olkaria, Baubeginn im Dezember 2018, wurde im Vorjahr erheblich erweitert. Es ist das erste und größte Geothermiekraftwerk in Afrika. Olkaria V ist eine 158-MW-Anlage, während Olkaria I AU6 mit einer installierten Leistung von 83,3 MW Strom, die in das nationale Netz eingespeist wird, die größte Einzelturbineneinheit ist, die jemals in einer der fünf Geothermieeinheiten vom kenianischen Energiekonzern KenGen installiert wurde.
Hotspot Rift Valley
Den Entwicklern zufolge gibt es im Rift Valley, das weltweit als regionaler Biodiversitäts-Hotspot gilt, mehrere andere Standorte, die für die geothermische Nutzung geeignet sind. Die Ressourcen mit einem geschätzten Potenzial zwischen 7.000 MW und 9.000 MW sind verteilt auf 14 potenzielle Standorte.
Die Zukunftsvision der Energieversorger umfasst daher eine Kette geothermischer Kraftwerke, der sich von Naivasha bis nach Bogoria erstreckt und die größte Ansammlung geothermischer Kraftwerke der Welt bilden würde. Dies würde die Kapazität des Landes steigern und reichlich zusätzliches Angebot für den Export bereitstellen –auch für Europa.
Deutschland könne von Kenia lernen, wenn es darum gehe, seine natürlichen Gegebenheiten zu nutzen, sagte dessen Bundeskanzler Olaf Scholz: „Wir haben keine vulkanischen Regionen wie hier, aber wir haben viele Gegenden und Landschaften, in denen Geothermie gute Voraussetzungen hat.”
Kein Licht ohne Schatten
Die Gewinnung der Erdwärme ist aber nicht immer ohne Probleme: Umweltbewusste Bürger sind besorgt über die ihrer Ansicht nach mangelnde Transparenz dieser Vorgänge und das Fehlen einer detaillierten Umweltverträglichkeitsprüfung.
Eine nicht genau spezifizierte, aber vermutlich beträchtliche Menge Wasser aus dem Naivasha-See wird durch die Geothermiebrunnen gepumpt, um dann unter Druck Dampf für den Betrieb der Turbinen zu erzeugen. Dieser beschleunigte Verbrauch des Seewassers trägt aber dazu bei, die Folgen der Dürre in Zeiten niedrigen Wasserstands zu verschärfen – und Teile Kenias werden seit Monaten von einer heftigen Dürre heimgesucht.