••• Von Britta Biron
WIEN. Zahlreiche Studien haben mittlerweile bewiesen, welche wirtschaftlichen und strategischen Vorteile im Einkauf liegen, in der Praxis wird dieses Potenzial aber kaum genutzt. Jürgen Sprenger, Vice President Purchasing bei der deutschen Manz AG, erläutert im Interview mit medianet, wo die Probleme liegen und wie sie gelöst werden können.
medianet: In fast 80 Prozent der Unternehmen spielt der Einkauf eine Nebenrolle. Wie kann man das ändern?
Jürgen Sprenger: In erster Linie ist es die Aufgabe der Unternehmensleitung, die Einkaufsleitung auf die gleiche hierarchische Ebene zu heben wie die Leiter anderer Abteilungen und ihr die notwendige Entscheidungshoheit zu geben. Gleichzeitig ist auch der Einkauf selbst gefordert, ein entsprechendes Controlling und Reporting zu installieren und in den Boardmeetings zu präsentieren. Keine Geschäftsleitung wird sich bei sauberer und nachprüfbarer Kommunikation der Erwirtschaftung von Gewinn verweigern.
medianet: In den meisten Unternehmen fehlen, wie viele Studien aber zeigen, Analysen und Reporting. Entsprechend haben die Finanzabteilungen wenig Überblick über die Leistungen des Einkaufs und dieser verfügt über keine gesicherten Daten, um seine eigene Leistung darzustellen und zu optimieren.
Sprenger: Dass die Daten fehlen, stimmt nicht ganz. Sie werden oft nicht effektiv ausgewertet. Dabei bieten alle modernen ERP-Systeme die Möglichkeit, Daten zu erheben und darzustellen. Nutzt man diese konsequent von der Anfrage bis zur Auftragsvergabe, hat man alle notwendigen Daten und verhindert, dass Informationen auf verschiedenen Systemen verteilt sind, die sich nicht zusammenführen lassen, sodass die Datenqualität dann immer wieder infrage gestellt wird, weil sich die Ergebnisse widersprechen oder voneinander abweichen.
medianet: Was ist bei der Datenauswertung vor allem zu beachten?
Sprenger: Sie sollte nach folgenden Gesichtspunkten aufgebaut werden: Was kann ich mit diesen Daten tun, wie dokumentieren sie den Einkaufserfolg und welche Handlungsempfehlungen kann ich daraus ableiten.
medianet: Gibt es sonst noch etwas, was aus Ihrer Sicht wichtig ist?
Sprenger: Kontinuität, d.h. hat man sich für eine Vorgehensweise entschieden, sollte man auch längerfristig dabei bleiben und diese weiterentwickeln. Leider wird mit neuen Anforderungen oft eine neue Software gefordert oder eingeführt. Die Auswertungen sind dann oft ‚Trouble Reports' und keine brauchbaren Steuerungsinstrumente.
medianet: Was braucht der Einkauf noch, um seine Stärken voll ausspielen zu können?
Sprenger: Natürlich die Budgets und Freiräume, um sich einen Überblick über die globalen Beschaffungsmärkte verschaffen zu können und Reisetätigkeit, Messebesuche und Lieferantenentwicklung voranzutreiben. Ein ganz wesentlicher Faktor ist auch das Personal: Der Einkauf muss für den gut ausgebildeten Nachwuchs attraktiv sein, durch Schulungsprogramme und Fortbildungen. Ein Einkäufer muss mindestens ebenso gut ausgebildet sein wie der Vertriebsmitarbeiter, mit dem er verhandelt. Weiters muss man den Mitarbeitern im Einkauf auch Möglichkeiten bieten, sich beruflich weiterzuentwickeln und Karriere zu machen. Hier hinkt der Einkauf oft noch dem Vertrieb hinterher. Es ist etwa eine Ausnahme, wenn ein Einkaufsleiter zum CEO avanciert.
medianet: Die meisten Einkaufsleiter sehen sich mit einem wachsenden Aufgabengebiet konfrontiert. Woran liegt das?
Sprenger: An der zunehmenden Internationalisierung der Märkte, am steigenden Termindruck durch immer kurzfristigere Zielsetzungen der Kunden und an den längeren Beschaffungswegen
medianet: Wie wirkt sich das auf die Tätigkeit im Einkauf aus?
Sprenger: Ein moderner Einkauf muss strategisch aufgestellt sein, die Preise seiner Produkte weltweit kennen, andererseits mit kurzen Entwicklungszyklen und Reaktionszeiten zurechtkommen. Das erfordert eine höhere Spezialisierung in strategischen Einkauf, operative Beschaffung und Steuerung der Supply Chain. Zudem hat in den letzten Jahren der Druck, strategisch einzukaufen, zu höherer Reisetätigkeit und einem steigenden Aufwand bei der Lieferantenentwicklung geführt.
medianet: Ist das alles auf lange Sicht mit den vorhandenen Ressourcen in den Einkaufsabteilungen überhaupt zu bewältigen?
Sprenger: Kaum. Ein Einkäufer, der dies alles in Personalunion abdecken muss, wird fast zwangsläufig einen Bereich vernachlässigen. Meist den langfristigen, da dieser langfristig ist und die kurzfristigen Aufgaben der operativen Beschaffung im Tagesgeschäft im Vordergrund stehen. Gerecht werden kann man allen Aufgaben nur, wenn der strategischen Einkauf von der operativen Abwicklung getrennt wird.
medianet: Kann e-Procurement dabei helfen, die wachsenden Anforderungen zu bewältigen?
Sprenger: Die Beschaffung von C-Teilen, Katalogwaren und Werkzeugen sollte so weit als möglich automatisiert werden, da hier die Beschaffungskosten einen überproportional hohen Anteil an den Gesamtkosten ausmachen. Erhebliche Entlastungen bieten auch Anfrage-Tools auf der Unternehmens-Website. Doch diese Instrumente sollten gelegentlich auch kritisch hinterfragt werden, da die starke Anbindung an einen Anbieter das Risiko birgt, dass man den Überblick über die Marktpreise verliert und die Kosten eines späteren Lieferantenwechsels mögliche Einsparungen kompensieren.
medianet: Fast jede Studie zum Thema Einkauf kritisiert die hohe Quote von Maverick Buying – zu Recht?
Sprenger: Da gibt es durchaus Potenzial, das man in einem industriell geprägten Umfeld aber auch nicht überbewerten sollte. Der Erfolg eines Unternehmens hängt hier in erster Linie von der Beschaffung von Produktionsmaterialien oder Anlagen ab. Beschaffungsvolumen im Marketing sind häufig von ästhetischen, monetär nicht fassbaren Gründen geprägt. Bei technisch besser zu definierenden Bereichen wie Druck oder Messebau kann der Einkauf aber erhebliche Einsparungspotenziale heben, sofern Spezifikationen für Anfragen vorliegen. Maverick Buying ist vor allem ein organisatorisches Problem, das durch unklare Entscheidungsprozesse und Regelungen von Verantwortlichkeiten entsteht und auch eines der Kernprobleme des Einkaufs trifft: Die Fachabteilungen stehen der Lieferantenauswahl des Einkaufs oft kritisch gegenüber und stellen kostengetriebene Entscheidungen aus Qualitäts- oder Termingründen infrage, die oft aber unbegründet sind.
medianet: Die Kostensenkung steht in den meisten Unternehmen auf der To-do-Liste der Einkäufer ganz oben. Verbesserung der Zulieferqualität, Mitarbeiterentwicklung oder die Optimierung von Prozessen und Abläufen spielt dagegen kaum eine Rolle. Ist das zielführend?
Sprenger: Prinzipiell ist das Hauptziel die Kostenkontrolle, um dem Unternehmen eine gute Ertragslage zu ermöglichen. Lieferantenentwicklung, Verbesserung der Zulieferqualität und alle anderen genannten Punkte dienen der Erreichung dieses Ziels. Sind die Mittel der Verhandlungen mit dem Lieferantenstamm ausgeschöpft, geht es darum, neue Lieferanten, oft in Billiglohnländern, im Rahmen des Lieferantenmanagements zu entwickeln und die Qualitätskosten dieser Beschaffungsmärkte zu senken. Am Ende dieser Entwicklung steht dann, dass der Einkauf ein akzeptierter Partner im Unternehmen ist, über qualifiziertes Personal und stabile Prozesse verfügt und in der Lage ist, durch permanente Anpassung an die sich ändernden Gegebenheiten langfristig wesentlich zum Unternehmenserfolg beizutragen.