"Den Konsumenten wird bio immer wichtiger"
© Ja! Natürlich/Christian Dusek
MARKETING & MEDIA Redaktion 25.10.2024

"Den Konsumenten wird bio immer wichtiger"

Ja! Natürlich wird 30 – und Geschäftsführerin Klaudia Atzmüller ortet noch viel Potenzial für die Zukunft.

••• Von Chris Radda und Georg Sohler

30 Jahre ist ja kein Alter – wir nehmen uns auf jeden Fall noch die nächsten 30 Jahre vor”, stellt die gelernte Kommunikationswissenschafterin Klaudia Atzmüller, seit fünf Jahren Geschäftsführerin von Ja! Natürlich, bei medianet.tv anlässlich des runden Geburtstags lachend klar. Zwischen dem heutigen Umsatz von fast 600 Mio. € und weit mehr als 1.000 Bio-Produkten und dem Anfang von Ja! Natürlich liegen nicht nur drei Jahrzehnte, sondern auch viel Innovationsgeist und Durchhaltevermögen – was definitiv auch zu besseren Branchenlösungen geführt hat.

So ist Österreich auch dank der Rewe-Tochter mit einem Bio-Anteil von 30% der landwirtschaftlich genutzten Fläche führend in diesem Bereich. Um das in einen Kontext zu setzen: In Deutschland beträgt dieser Anteil nur 13%.

Der Start in der Nische

Als Werner Lampert und Veit Schalle Ja! Natürlich in den 1990er-Jahren erfunden hatten, war Bio ein Nischenthema. Hochwertige Produkte mit diesem Qualitätsanspruch konnten fast nur in Spezialgeschäften erstanden werden, zu einem entsprechenden Preis. „Die Idee war einfach, aber revolutionär: Das Ziel war es, Bio-Produkte leist- und verfügbar zu machen”, erzählt Atzmüller.

Um die Produktpalette anwachsen zu lassen und die Menschen über die Vorzüge der anders produzierten Lebensmittel zu informieren, braucht es auch das richtige Marketing. Heute erkennen die allermeisten das berühmte Schweinderl sogar, wenn es im Radio spricht.
Seit 2005 wurden 35 Spots gedreht, mit einem klaren Hintergedanken: „Das Schweinchen hat eine besondere Funktion, es ist frech und wissbegierig, stellt dem Bauer Fragen und er kann komplexe Dinge auf einfache Art charmant erklären.” Pro Spot gibt es drei Schweinchen, jedes kann etwas anderes besser, und wie es sich für eine derartige Marke gehört, haben alle Darsteller nach ihrer TV-Karriere noch ein langes Leben – bis zu ihrem natürlichen letzten Tag.

Revolution beim Tierwohl

Das passt: Denn wenn es um Essen und landwirtschaftliche Produkte geht, ist Tierwohl ein entscheidender Punkt in der Bio-Landwirtschaft. Anhand dessen lassen sich viele Meilensteine, die die Marke erreicht hat, am plakativsten darlegen. „Das Schöne ist, dass wir eine Branche verändern und vorantreiben können”, erklärt Atzmüller und zeigt das durch ein Beispiel auf: „Das grausame Schreddern der männlichen Küken war vor einigen Jahren noch ganz normal. 2005 haben wir gesagt, dass wir das verändern wollen. Gemeinsam mit Tierwohlorganisationen und Partnern aus der Landwirtschaft haben wir überlegt, wie das gehen kann, wie man auch die männlichen Küken großziehen kann.” 2013 war dies bei Ja! Natürlich so weit, 2016 führte die Biobranche das Schredderverbot ein, seit 2023 gibt es auch im konventionellen Bereich klare Vorgaben.

Es gibt noch weitere Bereiche, in denen man zeigt, dass es auch anders geht. „Bereits vor über 20 Jahren haben wir ein eigenes Programm mit innovativen Landwirten aus dem Waldviertel aufgebaut, gemeinsam mit dem Stift Geras und der Universität für Bodenkultur sowie damals Vier Pfoten haben wir überlegt, wie wir die Schweine das ganze Jahr im Freien lassen können.” Angefangen hat man mit 1.000 Schweinen, heute sind es viermal so viele, auch das funktioniert. Genauso wie ein Anbindeverbot für Milchkühe, das für Partner seit 2019 verpflichtend ist. Vielleicht werden auch diese beiden Tierwohl-Initiativen einmal eine Branchenlösung.

Auf den Boden kommt es an

Die Innovationsfreude endet jedoch nicht beim Tierwohl. Ein Beispiel ist der Reis von Erwin Unger im Seewinkel im Burgenland: „Wenn man Reisfelder im Kopf hat, sieht man Bilder mit gefluteten Feldern, bei Nassanbau wird viel Methan erzeugt. Wir dagegen setzen auf Trockenanbau.”

Diesen nachhaltigeren Reis gibt es in mittlerweile in drei Sorten. In Wien wird zudem seit zwei Jahren Soja für regionalen Tofu angebaut, das spart wie auch der regionale Reisanbau lange Transportwege. Das Unternehmen fördert auch Raritäten bei Obst, Gemüse und Tieren, um die Biodiversität zu unterstützen und Nachhaltigkeit zu fördern. Aus alledem resultieren dann weitere Produkte im Sortiment, wie „Schweinchennudeln”, Mohnöl, Edamame oder eine Alpenkräutersalami. Beim Essen hört man aber nicht auf – wer will, kann sich Biopflanzen für den Balkon von Ja! Natürlich kaufen.

Die allermeisten Lebensmittel kommen aus dem Boden, auch hier setzt man Klima- und Umweltschutz um. „Gefühlt gibt es jeden zweiten Tag Gewitter, darauf folgen dann lange Trockenperioden und Extremregen. Es ist eine große Herausforderung, den Boden gesund und feucht zu halten. Da setzen wir neben Fruchtfolge auf Luzerne. Das sind Tiefwurzler, sie machen den Boden humusreich, und wenn es lange trocken ist, wird nicht die Ernte oder der Humus weggeschwemmt”, erklärt Atzmüller, wie die Böden auch größere Wassermengen aufnehmen können. Darüber hinaus speichern gesunde Böden auch noch CO2.

Herzeigen, was man kann

Am POS setzt sich der Nachhaltigkeitsgedanke fort – wo Verpackungen notwendig sind, wird Plastik vermieden. Wo nicht anders möglich – etwa, um Foodwaste zu verhindern – wird sie reduziert. Die Milchflaschen sind ebenfalls 15 Mal wieder verwendbare Mehrweggebinde.

Damit das den Konsumenten noch mehr auffällt, gibt es aktuell von der Künstlerin Nanna Prieler ein exklusives Geburtstagsdesign: Zum 30-jährigen Jubiläum präsentiert Ja! Natürlich nämlich 30 Jubiläumsprodukte in neuem Design und mit Hinweisen auf die Pionierleistungen des Unternehmens. Die Marke, seit Mitte der 2000er von Franz und Rosa Merlicek kreativ in Szene gesetzt, nutzt dabei humorvolle und einfache Kommunikation, um komplexe Themen zu vermitteln. Diese Markenkommunikation ist letztlich mit ein Grund, wie der Millionenumsatz im dreistelligen Bereich zustandekommt. Es interessiert die Konsumenten nämlich zunehmend, wie das Essen auf den Tisch kommt, wo es herkommt und wie die Tiere gelebt haben – nicht zuletzt wegen der Rückbesinnung auf Regionalität während der Coronapandemie. Das mag eine Rolle spielen, aber auch die Inflation – allerdings anders als man erwartet.

In Zahlen gegossen

Die in den letzten Jahren hohe Inflation half dabei insofern, als konventionell hergestellte Produkte im Verhältnis stärker im Preis stiegen. Die Ja! Natürlich-Preise verteuerten sich wegen Regionalität oder dem Verzicht auf Dünger weniger als andere Produkte. Diese haben längere Transportwege, brauchen in der Herstellung mehr Energie oder am Weltmarkt teurer gewordene Grundstoffe: „Wir brauchen beispielsweise keine fossilen Rohstoffe, darum sind unsere Preise nicht so stark gestiegen.” Der Gap zwischen Normal und Bio ist somit kleiner geworden – eine gute Entwicklung.

Österreich als Bio-Weltmeister, das ist generell eine Zukunftsinvestition. Aber die EU schreibt bis 2030 25% Bio-Anteil bei landwirtschaftlich genutzter Fläche vor. Österreich hat jetzt schon mehr. Im gesamten Sortiment liegt der Bio-Anteil bei zwölf Prozent. Gemüse kommt auf 28%, Eier auf 30, Mehl auf 32% – und Brot und Gebäck aus der Theke auf 50%: „Den Kunden ist Bio immer wichtiger und hat eine kontinuierliche, positive Entwicklung in Österreich.” Das erklärt den Erfolg der Rewe-Tocher: „Unsere Grund-DNA ist es, ein genussvolles Produkt, das gut für Umwelt, Klima und Tiere ist, herzustellen.” Und wenn, dann macht man es richtig.

Die ursprüngliche Vorgabe, höchste Produktqualität mit Tierwohl zu verbinden, wurde nicht nur umgesetzt und hat die Lebensmittelherstellung in Österreich nachhaltig verändert, sondern kommt auch gut an. „Wir haben noch viele Ideen und sehen Potenzial im Biobereich, weil das einen Beitrag zum Klima und zur Versorgungssicherheit leistet”, bilanziert ­Atzmüller.

Das gesamte Interview sehen Sie auf: tv.medianet.at

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