Die berüchtigte Brutto-Netto-Schere
© Alschner 2022
Friedrich Dungl
MARKETING & MEDIA Redaktion 09.02.2024

Die berüchtigte Brutto-Netto-Schere

Focus-Werbeumsatzerhebung: „Die Kombination aus Mess- und Befragungsmethode zeigt beweisbar Schwächen.”

Gastkommentar ••• Von Friedrich Dungl

Letzte Woche wurden die Focus-Zahlen für 2023 veröffentlicht. Diese weisen der Werbung in Österreich ein „hauchdünnes Plus” von 0,3% aus. Soweit, so erfreulich. Das Focus-„Bruttowerbevolumen” ist die Summe der „Tarifwerte vor Steuern”. Basis sind die Preislisten der Werbeträger. Focus zählt, misst und stoppt Inserat- und Plakatflächen, Werbespots in TV und Radio und Online-Werbebanner. Diese Werbeleistung wird mit dem jeweiligen Tarifwert (exkl. Steuern) bewertet und geht so in die Statistik ein, da die gewährten Rabatte nicht bekannt sind. Daran ist grundsätzlich nichts falsch.

Es wird also kein tatsächlicher Netto-Umsatz abgebildet, sondern vielmehr ein abstrakter Wert. Darauf wird auch seriös hingewiesen. Und nachdem die Methode immer gleich ist, könnte man meinen, dass der Vergleich zwischen Werbeträgern oder Entwicklungen in der Zeitreihe zulässig, weil immer gleich „falsch” ist. Und das ist ein Irrtum. In wirtschaftlich herausfordernden Situationen versuchen Unternehmen, ihren Umsatz zu halten, indem sie Kunden für das gleiche Geld mehr Leistung anbieten. Die berüchtigte Brutto-Netto-Schere geht auf. Bei manchen Marktteilnehmern mehr, bei anderen weniger.
Focus misst also unter Umständen mehr Werbeleistung, trotz sinkendem Umsatz und umgekehrt. Durch diese Verzerrungen ist die Vergleichbarkeit nur eingeschränkt gegeben.
Internationale Tech-Riesen, wir könnten sie auch GAFAs (GAFA steht für Google, Apple, Facebook und Amazon, Anm.) nennen, sind von Focus schwierig zu fassen. Wie sollte man die unzähligen Ads und Postings zählen? Die Werte beruhen – auch hier ist Focus transparent und sauber – auf Interviews mit Expertinnen und Experten. Online kommt demnach 2023 „erstmals über 20 Prozent (Marktanteil) zu stehen”. Dieser Wert ist bei Weitem zu niedrig geschätzt, und die Kombination aus Mess- und Befragungsmethode zeigt hier beweisbar Schwächen.

Die harte Währung

Als gelernter Österreicher weiß man, dass das Finanzamt sehr stur sein kann, wenn es darum geht, Steuern abzuliefern. Und Steuerpflichtige zeigen sehr wenig Bereitschaft, mehr Steuern zu zahlen, als unbedingt nötig. Daher besteht eine zuverlässige Korrelation zwischen Steuer und Umsatz.

Seit 1927 wird in Österreich eine Ankündigungs- (inzwischen Werbe-)Abgabe eingehoben, die im Wesentlichen alle in Österreich erbrachten Werbeleistungen, ausgenommen Digitalwerbung, umfasst.

Ende der Ungleichbehandlung

Diese Ungleichbehandlung wurde 2020 mit der Digitalsteuer behoben, welche aufgrund von hohen Umsatzschwellen praktisch nur Google und Meta trifft.

Aus der Werbeabgabe kann man daher den Umsatz aller heimischen Werbeträger errechnen, aus der Digitalsteuer den Umsatz der Techgiganten in Österreich. Da beide Steuern fünf Prozent vom Netto-Werbewert betragen, sind die Werte direkt vergleichbar.

Erstmals mehr Digitalsteuer

Das Finanzministerium veröffentlicht die Monatssummen aller Steuern als Abgabenerfolg des Bundes. Diese Werte zeichnen ein völlig anderes Bild als Focus.

Lag die Werbeabgabe 2017 noch bei knapp 110 Mio. €, waren es 2023 nur noch 94,7 Mio. €. Ein Netto-Wachstum von 2022 auf 2023 ist nicht zu erkennen, sondern ein Schrumpfen um ca. 3,5%. Die Digitalsteuer ist binnen zwei Jahren um beinahe 30% gestiegen, während die Werbeabgabe im Vergleichszeitraum um sieben Prozent gesunken ist. (Quelle: BMF)
2023 lag der Umsatz der ­GAFAs über 2 Mrd. € (!), der aller klassischen Werbeträger zusammen bei 1,9 Mrd. €. Die Werbeabgabe wird erst nach Zahlungseingang abgeführt, was zu einer saisonalen Phasenverschiebung um etwa zwei Monate führt. Vergleiche auf Monatsbasis sind daher nicht zielführend.

So what?

Die demokratiepolitische Bedeutung von Medien (von „echten”, nicht „sozialen”) ist hoffentlich unbestritten. Ihre Finanzierungsmodelle wanken schon lange, und nichts deutet auf eine Trendumkehr hin. Wenn wir durch Anwendung der falschen Messinstrumente die größere Hälfte des Werbemarkts in Österreich unbeobachtet lassen und uns bei der kleineren Hälfte an einem imaginären „hauchdünnen Plus” begeistern, senden wir an Politik, Wirtschaft und Bürgerinnen falsche Signale.

Die Lage der Medienhäuser ist prekär – weltweit. Sinkende Vertriebs- und Werbeeinnahmen sowie stark steigende Kosten sind die Ursache. In Österreich senkt der öffentliche Sektor seine Werbeausgaben, bucht aber immer mehr bei Google, TikTok und Meta (Quelle: RTR). Davon bleibt außer den fünf Prozent Digitalsteuer kaum Wertschöpfung im Inland. Und von den über 100 Mio. € Digitalsteuer werden gerade einmal 20 Mio. € dem heimischen Medienmarkt als Transformationsförderung wieder zugeführt. Bei Werbung und Förderung hat die Politik also Luft nach oben.

Warum Focus wichtig bleibt

Es geht nicht darum, die Methoden und Ergebnisse von Focus in Zweifel zu ziehen. Focus ist perfekt, wenn es darum geht, Entwicklungen einzelner Werbekanäle und -träger, Kundengruppen und Werbetreibender nachzuzeichnen, was mit einer pauschalen Steuersumme nicht gelingen kann. Zur präzisen Feststellung der Branchen-Umsatzentwicklung ist es jedoch das falsche Instrument.

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