Experten-Talkrunde zu moderner Mobilität
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MOBILITY BUSINESS Redaktion 29.09.2023

Experten-Talkrunde zu moderner Mobilität

Im Spannungsfeld von Transportaufgaben und Fahrspaß, persönlicher Freiheit und sozialer Verantwortung.

••• Von Georg Sohler

Von Transportaufgaben über Fahrvergnügen bis hin zur Verantwortung für Klima und Umwelt – Mobilität umfasst heutzutage ein breites Themenspektrum und dieses besprach medianet-Herausgeber Oliver Jonke in hochkarätiger Runde mit Stephanie Ernst (Gremialobfrau Landesgremium Wien des Fahrzeughandels/WK Wien), Burkhard Ernst (Bundesgremialobmann-Stellvertreter und Vorsitzender des Fachausschusses Öffentlichkeitsarbeit im Bundesgremium des Fahrzeughandels der WKO), Stefan Huschinski (Vorsitzender des Fachausschusses Kfz Einzelhandel im Bundesgremium Fahrzeughandel der WKO), Günter Kerle (Vorsitzendes des Arbeitskreises der Automobilimporteure in der Industriellenvereinigung) und Christian Pesau (Geschäftsführer des Arbeitskreises der Automobilimporteure in der Industriellenvereinigung) sowie Heinz Steinbacher (Hauptbevollmächtigter Garanta Versicherungs AG Österreich).

Zunächst die harten Fakten: Der Gesamtmarkt erfuhr heuer eine Steigerung von rund 15% in den ersten neun Monaten. Was gut klingt, muss eingeordnet werden.
Das Jahr 2022 war das schlechteste Jahr seit über 45 Jahren. Das Niveau ist noch niedrig, 2023 werden wohl 240.000 Einheiten abgesetzt werden, das sind gut 100.000 Autos weniger als in einem „normalen” Jahr. Das bereitet nicht nur Verkäufern und Herstellern Sorgen, sondern führt in weiterer Folge auch zu Problemen in Werkstätten und im Service.
Der Anteil an batteriebetriebenen Fahrzeugen erhöhte sich von 15% auf 18% Marktanteil; zählt man alle alternativen Antriebe zusammen, also auch etwa Plug-in-Hybride, sind es sogar rund 50%.

eMobilität ist Firmensache

„Die Produkte sind da und es werden immer mehr”, sagt Christian Pesau über eFahrzeuge, „aber bisher sind über 80 Prozent aller Neuzulassungen Firmenfahrzeuge – man muss auch den privaten Konsumenten überzeugen.” Hindernisse sind die Ladeinfrastruktur, undurchschaubare Ladetarife und die Ladedauer. Wer ist dabei gefordert?

Günther Kerle geht der Ausbau der Ladeinfrastruktur insgesamt viel zu langsam, er verweist aber auf Erleichterungen und Bewegung in der Sache.

„Wien Energie hat verlautbart, ab Oktober nicht mehr nach Zeit, sondern kW abzurechnen”, erklärt der Sprecher der österreichischen Automobilimporteure. Andere ziehen nach. Ein wichtiger Schritt, denn „laden und nicht wissen, wie viel ich bezahle, das ist heutzutage eine Katastrophe”. Ein erster Schritt zu mehr Preistransparenz also. Deutschland ist da schon weiter. Dort werden Tankstellen verpflichtet, eine Ladeinfrastruktur anzubieten.

Stefan Huschinski pocht darauf, über Anreize zu arbeiten, um die Menschen zu überzeugen: „Wichtig sind auch Goodies für Elektroautofahrer – etwa, keine Parkgebühren zu bezahlen oder wo möglich auf Busspuren zu fahren, um das ins Laufen zu bekommen.” Monetäre Vorteile alleine reichen aus seiner Sicht nicht aus, um Privatpersonen zu überzeugen bzw. die CO2-Ziele zu erreichen.

Mythen um Laden & Leistung

Prinzipiell meint er, dass die Infrastruktur dem Bedarf folge und „Mythen” leicht erklärbar sind. In zehn Minuten könnten heutzutage 200 km Reichweite aufgeladen werden. Über 300 km schaffen die meisten modernen Autos – und die Maximalreichweite laut Hersteller erreichen auch Verbrenner nie. Darüber hinaus gilt bei Elektroautos das Umgekehrte im Vergleich zu Verbrennern: In der Stadt brauchen sie weniger, überland mehr.

In Wien bzw. Ballungsräumen müsse man ein eAuto seltener aufladen, wenn man sich nur innerstädtisch bewegt. Doch es geht nicht nur darum. „In einer großen Stadt wie Wien ist Elektromobilität ein Teil der Mobilität, soll die anderen aber nicht verdrängen”, meint Stephanie Ernst. „Jeder fährt Auto, Straßenbahn, U-Bahn, Rad, Roller, Taxi und Bus.”
Platz brauche es für alle, nicht nur für die noch zu wenigen Ladestationen. Und: „Es kann nicht sein, dass die Elektromobilität als der Weisheit letzter Schluss dargestellt wird.”

Elektro gegen Emissionen?

CO2-Reduktion funktioniert nicht nur mit eAutos. „Auch neue Benziner und Dieselfahrzeuge tragen zur Luftreinheit bei. Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass ein Elektrofahrzeug, nur weil es beim Fahren kein CO2 ausstößt, gar keines emittiert. Etwa bei der Produktion oder der Verschrottung”, gibt Burkhard Ernst zu bedenken. Diese Thematik spiele in der öffentlichen Diskussion um Mobilität kaum eine Rolle.

All das ist aus seiner Sicht eine Konsequenz politischer Entscheidungen. Er warnt, dass die deutsche Autoindustrie – und somit auch Zulieferer hierzulande – Probleme bekäme und das komme den chinesischen Herstellern zugute. China und auch die USA würden bei der europäischen „green”-Politik nicht mitspielen. Das führe dazu, „dass Europa abstinkt. Wenn hier kein Umdenken passiert, werden wir die neue dritte Welt”.
So krass sieht es Günther Kerle nicht. Asien werde Europa nicht überrollen, aber er stimmt zu, dass es Europa gegenüber einen Vorsprung bei eAutos, im Bereich Batterien, habe: „Sie stellen sie selbst her, wir müssen zukaufen.” Die EU habe das aber erkannt und fördere hier sehr stark. Die Automobilindustrie müsse eben aufholen.

Umweltsünde Elektrobatterie?

Die Batterie ist in der öffentlichen Darstellung auch ein Umweltsünder in Sachen eMobilität. Huschinski dazu: Das Recycling ist, vereinfacht betrachtet, kein Problem, weil Batterien weiterverwendet und die Seltenen Erden entnommen werden. Bei der Herstellung wiederum brauche es diese teuren Elemente und viel Wasser: „Da muss man aber auch sagen, dass die Forschung sehr weit ist; es gibt Hersteller, die bald ohne Seltene Erden in Europa produzieren können.”

Kerle verweist auf Innovationen, etwa von BYD. Das chinesische Unternehmen hat eine Feststoffbatterie ohne Seltene Erden vorgestellt, mit schnellerer Ladung und mehr Reichweite: „2024 wird diese Batterie in China eingebaut, ab 2026 fahren sie in Europa. Das sind riesige Schritte, die in den nächsten Jahren kommen.” Ernst führt einen für ihn ebenfalls wichtigen Punkt an: Nämlich, dass es – Stichwort eFuels – die Politik nicht zu interessieren habe, mit welcher Antriebstechnik betrieben werde. Aufgabe der Politik könne nur sein, Grenzwerte vorzugeben.

Die Automobilhersteller müssten die ambitionierten Flottenziele erfüllen, die Klimaneutralität sei eine politische Vorgabe. Pesau sagt: „Die Transformation geht deshalb so rasend voran, weil die Politik vorgibt, dass man in Europa bis 2050 klimaneutral sein will, im Verkehr bereits 2040. Die derzeitige Umweltministerin will schon ein Verbrenner-Aus 2030 erreichen.” Das funktioniere für die Hersteller nur mit Elektromobilität und Zero-Emission-Fahrzeugen. „Die EU hat für 2026 einen Review angekündigt, und es wird spannend, zu sehen, ob kritisch hinterfragt wird, ob es Sinn macht, so schnell voranzugehen, wenn andere Kontinente nicht mitziehen.”

Stadt versus Land

In vielen ländlichen Gegenden werden die meisten Menschen noch länger auf das klassische Auto angewiesen sein. Im urbanen Raum hingegen gibt es die diverse Fortbewegungsmittel, bis hin zu eRollern und Scootern. Das wiederum führt zu einer Neuverteilung der öffentlichen Mobilitätsflächen.

„Lastenfahrräder sind im urbanen Gebiet gefragt, sie können bis zur einer halben Tonne transportieren; die Person, die lenkt, hat unter Umständen aber nie einen Führerschein gemacht und gelernt, wie man sich im Straßenverkehr verhält”, gibt Stephanie Ernst zu bedenken. Der öffentliche Raum werde umverteilt, neben Kenntnissen über die Straßenverkehrsordnung fehlten jedoch Sicherheits-, Wartungs- und Stellplatzlösungen. Und natürlich stellen sich Versicherungsfragen.

Ganzheitliche Mobilität

Experte Heinz Steinbacher dazu: „Wenn Schäden entstehen, die nicht durch Versicherungen gedeckt sind, trifft es den Geschädigten und den Lenker. Das ist ein finanzielles Risiko für beide Seiten. Man sollte sich überlegen, ob gewisse Fahrzeuge nicht auch Führerschein-pflichtig sein sollten. Ich sehe die Politik in der Verantwortung, faktenbasiert Vorschläge für entsprechende Regelungen zu machen.”

Jedenfalls ist Mobilität zusehends ein ganzheitliches Thema, wodurch Autohäuser zu One-Stop-Shops werden, die nicht mehr nur Fahrzeuge, sondern Mobilitätslösungen bereitstellen, so Steinbacher.

„Auto-Mobilität” sieht sich mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Ein eigenes Volksbegehren will die Anschaffungs- und Wartungskosten verringern, nicht zuletzt wegen der Pendler. Wie diese Runde dazu steht und welche Services, Versicherungen, Produkte und Innovationen in Zukunft eine Rolle bei der Mobilität spielen, sehen Sie online:

Den gesamten mobility talk-­Beitrag gibt es hier:
tv.medianet.at

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