Herr Draghi irrt sich
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Ulf D. Posé ist Keynote-Speaker, Management- und Vertriebstrainer, Autor und Wirtschaftsethiker; er war zehn Jahre Präsident des Ethikverbands der Deutschen Wirtschaft und hält Ethik-Vorlesungen u.a. an der Managementhochschule Innsbruck. www.pose.de
PRIMENEWS Ulf D. Posé 18.03.2016

Herr Draghi irrt sich

Die Geldtheorie des Mario Draghi und der EZB killt unsere Wirtschaft. Dabei hätten moderne Volkswirtschaftler längst eine klügere Alternative in petto.

••• Von Ulf D. Posé


EZB-Präsident Mario Draghi hat den Leitzins auf null Prozent gesenkt. Wir erleben ein historisches Tief. Warum hat Herr Draghi das getan? Der Grund ist einfach. Er will damit die Kreditnachfrage erhöhen. Billiges Geld soll die Wirtschaft ankurbeln. Gleichzeitig soll das gesparte Geld ausgegeben werden, da es ja ohnehin nur mehr Zinsen weit unterhalb der Inflationsrate bringt.

Ist Draghis Zinspolitik aber eine wirklich gute Idee? Lassen Sie es mich drastisch so auf den Punkt bringen: Mit seiner Zinspolitik tötet er derzeit nicht nur die Wirtschaft ab, er enteignet damit auch die Sparer und kauft großzügig Schulden ein. Seit einem Jahr, also seit 2015, hat Draghi mit der EZB Staatspapiere für satte 750 Milliarden Euro aufgekauft. Gleichzeitig lebt er in der Überzeugung, mit seiner Zinspolitik eine Deflation zu bekämpfen. Dabei ist fraglich, ob wir derzeit überhaupt eine Deflation befürchten müssen, und ob Draghi diese dann mit tauglichen Mitteln bekämpft. Eine Deflation ist hochgefährlich für die Wirtschaft – das wissen wir seit den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts, als während der Weltwirtschaftskrise in unserem Nachbarland Deutschland die Preise um sage und schreibe 30 Prozent absackten. Die Folge: Kein Mensch kaufte mehr etwas, da es ja am nächsten Tag billiger war. Deflation murkst die Wirtschaft ab. Bei uns jedoch fallen die Preise nicht, vom Ölpreis mal abgesehen (der seit Ende Jänner wieder steigt). Die Preise sind weitestgehend stabil.
Leidtragender ist der Sparer, denn sein Geld verzinst sich nicht mehr. Damit fließt das Geld in andere Kanäle, und erzeugt wahrscheinlich eine neue Blase, die irgendwann platzt – ähnlich der Finanzkrise 2008. Momentan fließt das zinslose Geld in Aktien oder Immobilien. Bei Immobilien explodieren die Preise. Wie lange geht das wohl gut? ­Soweit zur Deflation.
Weil Herr Draghi und seine Kollegen von der Europäischen Zentralbank es so beschlossen haben, müssen ab jetzt Banken, die ihr Geld bei der EZB parken, einen Negativzins von bis zu 0,4 Prozent an die EZB zahlen. Hans Werner Sinn, der Präsident des renommierten IFO Instituts, meint dazu: „Das ist eine verbotene Subventionspolitik zur Stützung von Zombiebanken und konkursgefährdeten Staaten.” Und Lars Feld, einer der Wirtschaftsweisen in der BRD meinte letzten Freitag: „Wir sehen, dass Länder wie Italien trotz des Zinstiefs keine Reformen durchführen und Ausgaben eher noch erhöhen.”
Dann gibt es ja noch die Ethikbank und deren Chef Klaus Euler, der mit seiner Ethikbank am 16. März protestierte. Die Bank war an diesem Tag für niemanden zu erreichen. Warum machte er das? Er und seine Mitarbeiter halten Draghis Politik für überbordende Kontrollbürokratie. Die Maßnahmen seien eine repressive Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank. Außerdem fürchtet die Ethikbank, dass kleine Banken aufgrund der Zinspolitik ihre Filialen werden schließen müssen. Um zu überleben, werden diese Banken ins Spekulationsgeschäft einsteigen. Die Protestaktion der Ethikbank haben deren Mitarbeiter als Bitte an den Vorstand herangetragen. Der Grund wird vom Vorstandsvorsitzenden erläutert mit den Worten, die Mitarbeiter seien „täglich mit diesem Wahnsinn konfrontiert”.
Kritik an der Zinspolitik der EZB üben nahezu alle Wirtschaftsexperten. Selbst der Chef des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest, ist davon überzeugt, dass die Maßnahmen der EZB die Banken schwächen werden, eine Immobilienblase erzeugen. Das sei viel wahrscheinlicher als die Chance, mit einer solchen Nullzins­politik die Konjunktur zu beleben.

Old-School-Geldtheorie

Wenn wir das Ganze aus ethischer Sicht betrachten, fällt Draghis Vorgehen unter klassische Gesinnungsethik. Er möchte die Konjunktur endlich ankurbeln. Seine Maßnahmen erreichen aber das Gegenteil. Das lässt den Schluss zu, dass er in Sachen moderner Volksökonomie wohl kaum richtig bewandert ist.

Hinter der Zinssenkung steckt ein inzwischen völlig überholtes Denkmodell einer Geldtheorie, die auf drei Faktoren fußt: Erstens: Die Zinshöhe beeinflusst die Kreditnachfrage. Draghi geht davon aus – übrigens auch viele Volkswirtschaftler der Bundesbank und der EZB –, dass ein niedriger Zins Unternehmen, wie auch Privatleute dazu animiert, Kredite aufzunehmen. Jetzt ist das Baugeld billig, also jetzt beim Kredit zugreifen; jetzt sind die Zinsen niedrig, also in die neue Maschine im Betrieb investieren, es lohnt sich.
Die Schlussfolgerung der Geldtheorie Draghis, bezogen auf die Kreditnachfrage, führt zur zweiten Annahme der EZB: Die Kreditnachfrage beeinflusst die Geldmenge. Die EZB und Herr Draghi gehen in ihrem Geldmodell davon aus, dass die Kreditnachfrage natürlich die Geldmenge beeinflusst. Je mehr Kredite nachgefragt werden, desto mehr Geld ist in Umlauf.
Diese zweite Annahme führt dann zu einer dritten Komponente: Die Geldmenge beeinflusst den Geldwertschwund. Draghi nimmt an, je mehr Geld in Umlauf ist, desto größer die Gefahr einer Inflation. Sobald Unternehmen wie Privatleute über sehr viel Geld verfügen, stiegen automatisch die Preise für Produkte, die Inflation darf galoppieren. Nach seiner Ansicht ist aber zu wenig Geld vorhanden, das konsumbereit ist. Damit befürchtet er eine Deflation. Keiner kauft, also muss alles billiger werden, damit gekauft wird. Und dieses Geld, um für den Warenkauf genutzt zu werden, muss in den Markt – je mehr, desto besser die Bekämpfung der Deflation. Das scheint mir die Grundlage der jüngsten Entscheidungen zu sein. Mit dieser Geldtheorie versteht man die aktuellen Zinsentscheidungen, getroffen von ausgebildeten Volkswirtschaftlern, Menschen, die sich in Gelddingen bestens auskennen. Und doch scheint mir deren Geldtheorie völlig falsch zu sein. Ich gehe sogar so weit, zu sagen, sie erzeugt eher das Gegenteil von dem, was mit der Zinssenkung Draghis erreicht werden soll. Dazu kommt erschwerend, dass nicht wenige Volkswirtschaftler annehmen, dass die EZB-Entscheidungen stark von Euroländern beeinflusst sind, die ihre Stimmenmehrheit im Rat der EZB ausnutzen, im sich ihre Zinskonditionen so zurechtzuzimmern, wie sie es für ihr Land gern hätten.
Die Frage ist nur, gibt es für diese Geldtheorie eine Alternative? Ja, die gibt es, und sie stammt von modernen Volkswirtschaftlern, die sich schon lange von der alten Geldtheorie verabschiedet haben. Aus ihren Reihen stammen die Kritiker der EZB. In der EZB haben sie bisher offensichtlich noch keine Stimme. Dabei ist es an der Zeit, die Geldtheorie moderner Volkswirtschaftler der Theorie von Draghi und der EZB gegenüberzustellen.

Geldtheorie moderner Volkswirtschaftler

Die Idee fußt ebenfalls auf drei Komponenten. Erstens: Nicht die Zinshöhe beeinflusst die Kreditnachfrage, sondern der Zinstrend. Das ist etwas völlig anderes. Ist der Zinstrend negativ, sinken also peu á peu die Zinsen, dann sinkt lustigerweise auch die Kreditnachfrage. Der Grund ist einfach: All diejenigen, die jetzt nicht zwingend einen Kredit benötigen, warten ab. Denn es könnte bei einem negativen Zinstrend doch so sein, dass die Zinsen noch weiter sinken. Geschieht das, wird der Kredit noch billiger. Alle, die nicht unbedingt Kredite benötigen, warten ab. Die EZB und Draghi kurbeln also die Wirtschaft mit ihrer Zinssenkung nicht an, sie killen sie.

Damit komme ich zum zweiten Punkt, der Frage, ob die Kreditmenge die Geldmenge beeinflusst. Auch hier gibt es eine andere, moderne Theorie. Sieht man von physischem Geld einmal ab, dann wird die Geldmenge durch die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen in der Wirtschaft beeinflusst. Weder die Politik, noch die EZB haben Einfluss darauf. Die Wirtschaft hält die Geldmenge so groß, wie sie sie braucht.
Auch der dritte Punkt ist leicht zu widerlegen. Die Annahme, dass die Geldmenge auch den Geldwertschwund beeinflusst, ist ebenfalls bei etwas moderner denkenden Volkswirtschaftlern nicht die Ursache des Geldwertschwunds. Der Geldwertschwund ist eine psychologische Angelegenheit: Menschen verhalten sich dann inflationär, wenn sie eine Inflation befürchten. Denkt niemand an eine Inflation, dann verhält sich auch niemand inflationär. Der Geldwertschwund bleibt in sehr erträglichen Grenzen. Sobald wir jedoch anfangen, eine Inflation zu befürchten, und reden uns die Medien eine Inflation ein, dann entsteht sie auch, das wir sofort meinen, für unsere guten Produkte oder Dienstleistungen müssten wir unbedingt mehr Geld bekommen, denn das Geld ist ja heutzutage nicht mehr so viel wert, wie noch vor einem Monat.
Und wie ist es mit der Deflation? Die Menge des vorhandenen Geldes bestimmt nicht die Deflation, sondern die Nachfrage. Wird weniger nachgefragt, werden Produkte nicht mehr verkauft. Die Preissenkung soll die Nachfrage wieder ankurbeln. Die Krux daran ist nur: Liegt eine Deflation vor, wartet jeder ab, bis Produkte billiger werden, völlig unabhängig davon, wie viel Geld er oder sie zur Verfügung hat. Gekauft wird nur, was man unbedingt braucht. Somit ist auch Deflation ein psychologisches, kein ökonomisches Problem.
Es ist ähnlich wie bei der Kreditnachfrage: Wenn ich damit rechnen kann, dass Kredite billiger werden, warte ich ab, einen Kredit aufzunehmen. Ich nehme den Kredit nur dann auf, wenn ich unbedingt muss. In der Wirtschaftsethik gelten Gesinnungsethiker als gefährlich, weil sie in bester Absicht, jedoch inkompetent in der Sache, Chaos anrichten, sich aufgrund ihrer guten Absicht aber auch noch gut dabei fühlen. Es war die falsche Entscheidung Draghis, eine historisch so einmalige Zinsabsenkung vorzunehmen. Damit erreicht er das Gegenteil von dem, was er erreichen will.
In der Wissenschaft der Psychologie gibt es übrigens einen Fachbegriff für Menschen, die mit ihren Handlungen genau das Gegenteil von dem erreichen, was sie erreichen wollen, und genau das für richtig halten. Man nennt sie wahnkrank.

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