Hey, Small Spender!
© Panthermedia.net/Wrangel
PRIMENEWS 20.11.2015

Hey, Small Spender!

Das Urprinzip des Handels – Geld gegen Ware – wackelt. Werte und Bewusstsein verkaufen sich besser, Crowdfunding und Mikromäzenatentum boomen.

Weil die Welt und die Menschen nicht so schlecht und gleichgültig sind, wie man glauben könnte, hat es immer Gruppen und Initiativen gegeben, die dafür sorgen wollten, dass sich das Gute und die Guten schneller beziehungsweise überhaupt durchsetzten. Heute haben solche Initiativen Mittel an der Hand, von denen ihre historischen Vorgänger nur träumen konnten. Und es hat gerade erst begonnen. 2009 bzw. 2008 betraten Kickstarter und Indiegogo die Bühne. Während Indiegogo ins Leben gerufen wurde, um Filme drehen zu können, die anders keine Chance gehabt hätten, richtete sich Kickstarter an Künstler und Erfinder. Kleine Beiträge von vielen sollten die große Finanzierungspower von einigen wenigen ersetzen. Bei den ursprünglichen Sektoren blieb es nicht lange. Während Indiegogo nahezu über Nacht den Bereich der Filmförderung verließ und erfolgreiche Kampagnen im sozialen und im IT-Bereich ermöglichte, unterstützte Kickstarter schon 2012 Kunst-, Video- und Designprojekte mit 323 Mio. USD – während die öffentliche Kunstförderung in den USA im gleichen Zeitraum lediglich 146 Mio. USD verteilte.

Spenden mit Rückkanal

Die deutsche Crowdfunding-Organisation Betterplace.org hatte von Anfang an ausschließlich soziale Zwecke im Sinn. Im Grunde geht es bei Betterplace um die Möglichkeit, die Wirksamkeit von kleinen und großen Spenden für konkrete Hilfsprojekte durch einen Rückkanal öffentlich verifizieren zu können. Projekte, die unterstützt werden, müssen über ihre Fortschritte berichten und können fortlaufend von den Spendern bewertet werden. Zusätzlich kann man auch Zeit spenden.

Patreon gehört zu den jüngeren Angeboten der Crowdfunding-Szene. 2013 in San Francisco gegründet, hat sich das Unternehmen von Anfang an auf Kunst konzentriert. Es ermöglicht Unterstützern auch, einen fortlaufenden monatlichen Beitrag in die Arbeit von Künstlern zu investieren. Das ist, wenn man so will, der Schritt zum echten Mikromäzenatentum. Man kann mit einem einzigen Dollar einsteigen, zahlt ihn aber dauerhaft.
Warum aber ist so viel Dampf hinter dem Crowdfunding? Es scheint sich um die Auswirkung eines spezifischen Unbehagens in der Kultur zu handeln. Eine wahrnehmbare Minderheit von Leuten hegt Misstrauen in staatliche oder große private Organisationen, die mit Wohltätigkeit oder Technologie- und Kulturförderung befasst sind. Die Macht von großen Apparaten ohne Blick fürs Detail führe zur Förderung und Überförderung von „Leuchtturmprojekten”. Wenn in den Kulturindustrien Aufmerksamkeit und Finanzströme nur der Industrie selbst und großen Stars zugutekommen, wenn Entwicklungshilfe von Großorganisationen und Staaten versandet, bevor sie die eigentlichen Adressaten erreicht hat, dann kann man schon von einer routinierten Disfunktionalität sprechen.
Das hat in der Kultur Langeweile zur Folge, in der Technologie Frustration und bei sozialen Belangen Schuldgefühle. Man weiß, dass Madonna und Spider-Man nicht alles sind, was die moderne Popkultur zu bieten hat. Man weiß, dass unsere Technologie besser, langlebiger und billiger sein könnte. Man weiß auch, dass auf dieser Welt niemand hungern müsste. Rechnet man zu diesem Wissen ein starkes Bedürfnis nach dem Echten, liegt die Idee nahe, direkte Beziehungen zu suchen: zu Produzenten guter Kultur oder zu Lieferanten von gutem Gewissen. Sie direkt und persönlich für ihre Arbeit zu belohnen, erzeugt auch dann ein gutes Bewusstsein, wenn man deren Erzeugnisse gar nicht selbst konsumiert. Im Ergebnis sind die Spenden-, Funding- und Mäzenaten-Plattformen so etwas wie Bewusstseinswarenhäuser. Und warum wird das Bewusstseins-Shopping gerade jetzt so attraktiv? Die Antwort lautet: Technologie. Von Katastrophen in der Welt und den Versuchen, sie zu bewältigen, erfahren wir in Echtzeit. Und wir können in Echtzeit mit den betroffenen Menschen kommunizieren. Das erweckt den Wunsch, die plötzlich durch direkten Kontakt in die Nähe gerückten Menschen direkt zu unterstützen.

Von Beziehung zu politischer Bewegung

Die Idee vom direkten Kontakt in der Nothilfe ist natürlich nicht neu. Hilfsorganisationen versuchen schon lange, etwa durch individuelle „Patenschaften” eine Personalisierung des Engagements zu erreichen. Ganz deutlich kann man die Macht der personalen Authentizität bei den Internet-Petitionen sehen, die persönliche Betroffenheit in politische Bewegung ummünzen.

Das Internet, und vor allem das mobile Internet kann aber nicht nur in der Kommunikation Versprechen halten, die früher von anderen nur gegeben wurden. Auch für die Produktion und Distribution von kleinen Produzenten sind die neuen Technologien, die sich um das Internet gruppieren, nicht etwa nur „game changer” – was das Crowdfunding in diesem Bereich angeht, so wird es durch den aktuell erreichten Stand der Technik überhaupt erst sinnvoll. Das gilt für den Erfinder, der sein neues Ding auf Kickstarter vorstellt, das mit neuen Technologien wie dem 3-D-Druck überhaupt erst zu einem bezahlbaren Preis hergestellt werden kann.
Das gilt aber noch viel mehr für Digital­waren wie Videos, Texte, Bilder oder Medien, die aus all dem gemeinsam bestehen. Technologie ermöglicht es, kinotaugliche Filme mit Smartphones zu drehen, und sie zu einem Bruchteil früherer Kosten an die Zuschauer zu verteilen. Die Entwicklung, die hochwertige Fotos ohne chemischen Film und die damit zusammenhängende Infrastruktur ermöglicht hat, ermöglicht auch, sie in Internet-Galerien zu drastisch gesunkenen Preisen auszustellen. Musik, die klingt, als sei sie in einem professionellen Studio entstanden, kann im eigenen Wohnzimmer aufgenommen und vertrieben werden. Und genau in dem Moment, in dem sich die Schlagkraft dieser neuen Nähe von Produktion und Distribution erweist, bietet Crowdfunding die Chance, die gesunkenen materiellen und logistischen Kosten von Produktion und Distribution aufzufangen – zusammen mit den kreativen Kosten, also dem Lebensunterhalt der Erfinder und Künstler. Dass durch automatisiert gemanagte Kleinbeiträge eine effektive Risikoverteilung auf viele Beiträger möglich wird, hilft der Entwicklung weiter auf die Sprünge.
Das bedeutet nicht, dass Kinogroßproduktionen, die Superstarkultur in der Musik oder die Entwicklungs- und Marketingabteilungen von Technologiefirmen verschwinden oder dass jeder Erfinder oder Künstler von seiner Arbeit leben kann. Es bedeutet nur, dass neue Möglichkeiten und alte Bedürfnisse eine Situation schaffen, in der eine Minderheit von Konsumenten bereit ist, Geld für Waren in ihrer Potenzialitätsform auszugeben. Das tut der traditionelle kapitalistische Investor auch, aber nur, wenn er später durch die Vermarktung der wirklich gewordenen Waren eine Rendite erzielen kann. Rendite ist der mäzenatischen Minderheit egal. Sie möchte der Ware von der Potenzialität zur Realität verhelfen, um sie später selbst zu genießen – egal ob Film oder neues Gadget. Und ein erheblicher Teil ist bereit, unter neuen Bedingungen Geld für Leute auszugeben, die im Moment – oder auf Dauer – überhaupt keine Waren produzieren.
Haben die Bewusstseinswarenhäuser einen ähnlichen Aufstieg vor sich wie das Waren-Warenhaus vor 150 Jahren? So, wie sie derzeit aufgestellt sind, wohl kaum. Bewusstseins-Shopping ist weit davon entfernt, Mainstream zu werden. Und auch dort lauern Gefahren, wie ein Blick auf die Bio- und Fair-Trade-Szene zeigt, die sich mehr und mehr in einem Sumpf aus Etikettenschwindel, Greenwashing, Selbstbetrug, gewöhnlichen Marktprozessen und fehlgeleitetem Idealismus verliert. Diese Karikatur ihrer selbst überzeugt höchstens noch die ganz Naiven – und die Marketingexperten, die an dieser Naivität verdienen wollen. Wäre das im übertragenen Sinn die Zukunft des Mikromäzenatentums, dann könnte das heißen, dass es in großem Stil von den hergebrachten Playern als neue Ressource begriffen wird. Wenn Amazon einen Marktplatz für die Ergebnisse erfolgreicher Crowdfunding-Kampagnen aufstellt (Amazon-Launchpad), dann bedeutet das, dass „Bezos-Amazonien” eine neue Provinz hinzugewinnt. Zudem könnten sich auf dem neuen Markt die üblichen Kapitalkonzentrationsprozesse durchsetzen.

Gutes Storytelling gefragt

Wo wir gerade beim Markt sind – wie verhält es sich dann mit dem Marketing? Die Ressource der Mäzene ist endlich. Die Künstler, Erfinder, Charity-Aktivisten, die in den Ring steigen wollen, konkurrieren um die Aufmerksamkeit ihrer Unterstützer. Was brauchte gutes Marketing in dieser Arena? Gutes Storytelling. Das passt zu den Kreativen, die von Mikromäzenatentum profitieren wollen. Wenn sie aber viel Energie darauf verwenden müssen, Geschichten zu erzählen, statt ihre Bilder, Filme, Romane, Sinfonien voranzutreiben, dann lautet die Perspektive schnell: Selbstausbeutung oder Outsourcing. Und wofür würden die neuen Mäzene dann eigentlich zahlen: für das Storytelling über die Werke oder für die Werke, um die es eigentlich geht? Die neue Nähe zwischen Publikum und Kulturproduzent kann auch Schattenseiten entwickeln. Ich habe mehrfach beobachtet, wie in der Fantastik-Szene die Nähe zwischen Kulturproduzent und Publikum zu einer beeindruckenden Form des Mobbings mutierte. Was die neuen Mäzene angeht, sind wir eigentlich ganz am Anfang. Es gab die ersten Triumphe und die ersten Niederlagen, und wie sich die Sache letztlich entwickelt, ist noch nicht heraus. Kreative ohne Starstatus hatten seit je insgeheim immer das gleiche Motto: „Du hast keine Chance, also nutze sie.” Wenn das neue Mikromäzenatentum die Nutzung (fast) nicht vorhandener Chancen spürbar erleichtert, dann hat es schon etwas geleistet.

Dies ist eine von Feature-Redakteurin Alexandra Binder bearbeitete/gekürzte Version des Artikels „Im Bewusstseinswarenhaus” (
GDI Impuls 3.2015): „Probieren Sie mal! Ideale Zeiten für Experimente. Wie sich der Handel zukunftsfähig machen kann.” www.gdi.ch/de/gdi-impuls

••• Von Marcus Hammerschmitt

BEWERTEN SIE DIESEN ARTIKEL

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL