„Regeln für Plattformen hinken Realität hinterher”
© BKA/Andy Wenzel
PRIMENEWS Dinko Fejzuli 01.06.2018

„Regeln für Plattformen hinken Realität hinterher”

Minister Gernot Blümel im Interview über Medienenquete, Facebook & Co sowie die heimische Medienbranche.

••• Von Dinko Fejzuli

Ich gehe davon aus, dass wir heuer noch konkrete Gesetze auf den Tisch legen werden”, so der Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien, Gernot Blümel (ÖVP), kürzlich bei einem gemeinsamen Pressetermin mit FPÖ-Mediensprecher Hans-Jörg Jenewein anlässlich der Medienenquete am 7. und 8. Juni.

medianet bat den Minister noch vor der Parlaments-Enquete um ein paar Antworten zu den aktuellen Medienthemen das Landes.


medianet:
Herr Minister, in wenigen Tagen findet die in der Branche vieldiskutierte Medien­enquete statt. Wie hoch ist die Chance, dass am Ende auch tatsächlich haltbare Ergebnisse herauskommen?
Gernot Blümel: Die Medienenquete soll ein Neustart für die Medienpolitik in diesem Land sein – eine echter und ernsthafter Diskurs mit dem Anspruch, die tatsächlichen Fragestellungen für die Zukunft unseres Medienstandorts anzugehen. Diesen Diskurs hat es bislang nicht gegeben. Ganz im Gegenteil sind in den letzten Jahren eher Fragen nach Personalia oder der Steigerung oder Senkung einer Presseförderung im Mittelpunkt gestanden. Das verstehe ich aber definitiv nicht als die relevanten medienpolitischen Fragestellungen. Sondern vielmehr: Was braucht es, damit es in zehn, fünfzehn Jahren überhaupt noch eine österreichische Identität – insbesondere im digitalen Raum – gibt? Denn sonst sind andere Fragen wohl eher überflüssig. Dazu braucht es aber eben einen echten, medienpolitischen Diskurs. Und ich habe das Gefühl, dass dieser im Vorfeld unserer Medienenquete nun tatsächlich ansatzweise begonnen hat.

medianet:
Gerade hier fordern Sie ein engeres Zusammenrücken der heimischen Medien-Player, etwa in Form einer gemeinsamen Vermarktungsplattform. Welche Gattungen, welche Player sollen daran beteiligt sein?
Blümel: Mir geht es darum, dass aus Konkurrenten Partner werden. Denn ein Gegeneinander innerhalb Österreichs schwächt alle, statt sich gemeinsam gegen die tatsächliche Konkurrenz aufzustellen – die großen Plattformen, wie Google, Facebook und Co. Das ist die Grundidee und der Anspruch.

medianet:
Abgesehen von diesem gemeinsamen Kampf gegen die großen Plattformen: Wo sehen Sie darüber hinaus Kooperationsmöglichkeiten?
Blümel: Ich würde mir generell so viel Kooperation wie möglich in Österreich wünschen. Denn das stärkt die Wettbewerbs­situation. Damit es im digitalen Raum auch künftig österreichische Identität, österreichische Information, Pluralität österreichischer Medien geben kann. Die Werbevolumina gehen runter in den Printmedien, im linearen Fernsehen, und sie gehen rauf im digitalen Bereich. Da gibt es aber keinen österreichischen Medienkonzern, der sich da am Markt gegen Google und Facebook behaupten kann.

medianet:
Eine Ihrer konkreten Ideen in der Sache ist schon bekannt: Sie fordern vom ORF, eine ‚Schuhlöffel-Funktion' für die Privaten einzunehmen. Aus Sicht der Gebührenzahler: Weshalb soll deren Beitrag für gewinnorientierte, privatwirtschaftlich geführte Medienunternehmen verwendet werden?
Blümel: Wichtig ist, dass qualitativ hochwertige Inhalte auch zur Bevölkerung kommen. Österreich braucht einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk und eine starke Privatmedienlandschaft – nur in einem intelligenten Zusammenspiel dieser beiden Kräfte können wir sicherstellen, dass auch in einem zunehmend digitalisierten Zeitalter österreichische Inhalte ein relevantes Publikum finden und eine österreichisch-geprägte mediale Öffentlichkeit. Die Zeit des Gegeneinanders muss vorbei sein.

medianet:
Dieses von Ihnen angesprochene Gegeneinander beruht aber auf Gegenseitigkeit. So beklagen etwa die Privaten, dass sich der ORF noch immer mit einem Vollversorgungsauftrag ausgestattet sieht, obwohl es längst ein duales System gibt. Sie selbst sprechen davon, den öffentlich-rechtlichen Auftrag des ORF ‚schärfen' zu wollen. Wie soll diese Fokussierung aussehen?
Blümel: Sich selbst hinterfragen und sein Selbstverständnis weiterentwickeln, ist in jedem Bereich immer wieder notwendig – natürlich auch im Medienbereich. Die Herausforderungen ändern sich ebenso wie die Fragestellungen und die generellen Rahmenbedingungen.

medianet:
Bleiben wir noch beim Thema duales System: Der VÖP beklagt etwa, dass dieses auch 20 Jahre nach Einführung des Privatradios und 15 Jahre nach Einführung des Privat-TV noch immer nicht wirklich etabliert sei. Wie beurteilen Sie die diesbezügliche Situation in Österreich, das über viele Jahre den Titel ‚Medienalbanien' zugeschrieben bekam?
Blümel: Der letzte große medienpolitische Wurf in Österreich war tatsächlich die Einführung der Privatradios vor 20 Jahren. Jetzt wird es Zeit, dass wir die Herausforderungen der Zukunft für unseren Medienstandort definieren. Deshalb will ich eben diesen sehr breiten, offenen und ernsthaften Diskurs starten. Ich bin überzeugt, dass es sowohl einen Öffentlich-rechtlichen als auch starke Private braucht. Kooperation statt Gegeneinander kann allen jedenfalls guttun. Die tatsächlichen medienpolitischen Fragestellungen sind nämlich: Wie können wir sicherstellen, dass es auch in zehn, fünfzehn Jahren noch eine tragfähige österreichische Medienlandschaft gibt und dass es, vor allem im digitalen Raum, überhaupt noch österreichische Identität gibt? Und die Antworten können nicht sein: ORF gegen Private, österreichische Verlagshäuser gegen andere österreichische Verlagshäuser, VÖP gegen VÖZ oder wie auch immer. Daher müssen wir weg von diesem Schrebergartendenken und hin zu einer gemeinsamen Positionierung gegenüber den tatsächlichen Konkurrenten: und diese sind nicht in Österreich und in Wahrheit auch nicht in Europa. Die großen Konkurrenten der traditionellen Medien heißen heutzutage Facebook, Google und Co. Mit Deutschland haben wir außerdem einen gleichsprachigen Nachbarn, der zehn Mal so groß ist und über einen der kompetitivsten Medien­märkte verfügt. Und selbst dieser im Vergleich große Markt ist in seiner globalen Bedeutung nicht mehr so groß.

medianet:
Hier fordern die heimischen Medienunternehmen ohnedies eine Gleichbehandlung von Facebook & Co. als Medienunternehmen mit allen Pflichten, die dazugehören. Welches Angebot können Sie hier seitens der Politik machen?
Blümel: Genau deshalb war es mir von Beginn an wichtig, auch die Europa-Komponente im Rahmen der Enquete zu diskutieren. Denn genau in diesen Fragen müssen wir als Europa gemeinsam vorgehen. Ich freue mich daher sehr, dass wir EU-Kommissarin Vera Jourova für eine der Eröffnungs-Keynotes gewinnen konnten. Denn sie ist es, die auf europäischer Ebene vehement dafür eintritt, dass Facebook Verantwortung übernehmen muss. Österreich will Treiber dahingehend werden, dass Europa stärker gegenüber den großen Plattformen und Monopolisten auftritt. In vielen Bereichen laufen derzeit auf den unterschiedlichen Ebenen Verhandlungen, in die wir uns auch sehr stark einbringen. Im Rahmen unserer Ratspräsidentschaft werden wir auch eine europäische Konferenz zu Medien- und Kulturpolitik in der digitalen Welt abhalten – mit Schwerpunkt auf Digitalisierung und den Umgang mit Plattformen und zur Weiterführung und Intensivierung des medienpolitischen Diskurses auf europäischer Ebene.

medianet:
Zu diesem Diskurs gehört auch die Frage der sogenannten digitalen Betriebsstätte, am Ende also auch die Frage, wo und wie viel Steuern von den globalen Playern zu bezahlen sind. Wie weit sind hier die Vorschläge – auch innerhalb der EU – gediehen?
Blümel: Auch dieser Themenbereich gehört selbstverständlich dazu. Uns geht es um Steuergerechtigkeit und darum, Gewinne dort zu besteuern, wo sie anfallen. Österreich setzt auch im Rahmen des EU-Vorsitzes einen Schwerpunkt auf Wettbewerbsfähigkeit und Digitalisierung.

medianet:
Und wie ist hier die Stimmung, wenn es um mehr Reglementierung oder etwa die Frage der Besteuerung der Techgiganten in Europa geht?
Blümel: Ich erlebe ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass wir auf diese Fragen gemeinsame Antworten brauchen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Online-Plattformen hinken der Realität hinterher. Wir setzen uns dafür ein, dass in Bereichen des Urheberrechts, des Medienrechts und des Steuerrechts Regelungen geschaffen werden, die nationalen Contenterzeugern einen Wettbewerb auf Augenhöhe und Rechteinhabern eine faire Abgeltung ermöglicht.

medianet:
Kehren wir am Ende zum ORF und zur Frage zurück, wie dieser künftig zu finanzieren ist. Eine Haushaltsabgabe haben Sie bereits ausgeschlossen. Wie frei kann ein ORF agieren, wenn dessen Boss in regelmäßigen Abständen mit dem Medien- bzw. Finanzminister über das jeweils kommende Budget für den Sender reden muss? Manche sehen in dieser Finanzierungsform ein indirektes Steuerungsinstrument für die Politik – zu Unrecht?

Blümel: Es gibt generell unterschiedliche Finanzierungsformen, die in unterschiedlichen Ländern zur Anwendung kommen. Für alles gibt es ein Für und Wider. Ich denke, es gibt einen Konsens darüber, dass es auch in Zukunft einen Öffentlich-rechtlichen geben soll, der möglichst vielen Menschen möglichst qualitativ hochwertige Information zur Verfügung stellt. Und es gibt auch einen Konsens darüber, dass es dafür eine (Teil)-Staatliche Finanzierung braucht. Die Unabhängigkeit des Journalismus hat übrigens aber nichts mit Finanzierungsformen zu tun, sondern ist ein in der Verfassung verankertes Grundrecht.

medianet:
Frage zum Schluss: Österreich übernimmt demnächst den EU-Vorsitz. Wie realistisch ist es, dass sich in dieser Zeitspanne auch noch eine ORF-Reform ausgeht? Kritiker meinen, mit den für den Öffentlich-rechtlichen unangenehmen Änderungen möchte man warten, bis der EU-Vorsitz vorbei ist – etwa die Abwahl des derzeitigen Generaldirektors durch eine Neuorganisation des ORF via neues ORF-Gesetz. Stimmt das?
Blümel: Ich habe von Beginn an gesagt, dass die Medienenquete einen Start für einen echten medienpolitischen Diskurs darstellen soll, um die tatsächlich relevanten Herausforderungen für die Zukunft des Medien­standorts zu definieren und die richtigen Fragen abzuleiten. ORF-Personalia haben für mich nichts mit Medienpolitik zu tun – genau diese Diskussionen sind aber symptomatisch für den bisherigen politischen Diskurs. Genau das möchte ich ändern.

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