••• Von Sabine Bretschneider
WIEN. In den Zeiten schwarz-blauer Regierungstätigkeit unter der Patronanz Jörg Haiders und den legendären Interviews des damaligen Finanzministers Karl-Heinz Grasser („Ich freue mich, dass Sie mir diese Frage stellen …”) war das sogenannte Neuro-Linguistische Programmieren (NLP) hierzulande etwas in Verruf geraten. Faktisch betrachtet, geht es bei der Methode des NLP jedoch nicht um die hohe Kunst rhetorischer Manipulation, sondern vielmehr um eine Sammlung von Kommunikationstechniken und Modellen zur positiven Veränderung psychischer Abläufe im Menschen.
Die Bezeichnung Neuro-Linguistisches Programmieren soll ausdrücken, dass Vorgänge im Gehirn (= Neuro) mithilfe der Sprache (= linguistisch) auf Basis systematischer Handlungsanweisungen änderbar sind (= Programmieren). Die Grundlagen des NLP wurden von John Grinder und Richard Bandler in den 70er-Jahren entwickelt. medianet führte dazu ein Interview mit John Grinder, der das klassische NLP zuletzt zum sogenannten New Code und Medical New Code NLP weiterentwickelt hat und dazu weltweit Seminare abhält.
medianet: Die Methode des Neuro-Linguistischen Programmierens ist inzwischen beachtliche 40 Jahre alt. Wie wird sich NLP in Zukunft weiterentwickeln?
John Grinder: Auch die Antwort darauf liegt in der Zukunft. Wir sind keine Propheten. Dazu kommt: NLP liegt jetzt in den Händen jener, die es praktizieren – und diese werden auch darüber entscheiden, wie es sich entwickeln wird. Wenn Sie jedoch wissen möchten, was wir uns diesbezüglich wünschen, kann ich darüber schon einiges erzählen.
Beginnen wir bei den Grundlagen: NLP setzt auf gewissen Mustern auf – und hier liegt der entscheidende Unterschied zwischen den Prozessen und dem Inhalt. Jemand, der sich auf NLP beruft, beruft sich im Regelfall auf Prozesse und nicht darauf, den Klienten auf inhaltlicher Ebene zu begegnen, um bei dieser Begegnung eben eine inhaltliche Veränderung einzuleiten.
An sich gibt es nur zwei Gründe dafür, das klassische oder New Code NLP anzuwenden: Um dem Klienten Wahlmöglichkeiten anzubieten in einem Kontext, der eben diese Möglichkeiten vermissen lässt, oder um Qualität zu schaffen in jener Erlebniswelt, die das eigene Leben darstellt.
Ich habe allerdings den Eindruck, dass nur wenige Menschen, die vorgeben, NLP anzuwenden, auch kontinuierlich diese präzise Unterscheidung zwischen prozessorientierten und inhaltlichen Kriterien machen. Das wiederum macht es dann unrealistisch, mit NLP effektiv und ethisch arbeiten zu können.
Was wir jedenfalls in Bezug auf die Entwicklung von NLP in den nächsten Jahrzehnten erhoffen, ist eine vertiefende Untersuchung der dem NLP zugrunde liegenden biochemischen, physiologischen und neurologischen Prozesse. Wir hoffen, NLP-Practitioner zu finden, die sich genau damit auseinandersetzen, was hinter den ‚Kalibrierungspunkten' liegt, die wir nutzen, um den Zustand eines Klienten festzustellen und zu entscheiden, welche Strukturierung sinnvoll wäre, um jene Zielrichtung einzuschlagen, die letztendlich dem Ziel des Klienten entspricht, mit dem wir arbeiten.
medianet: Was ist eigentlich das ‚Neue' am New Code NLP?
Grinder: Schwierige Frage. Um einen dieser Unterschiede herauszugreifen: Es gibt im New Code NLP beispielsweise ein Muster, das wir ‚The Healer Within' nennen. Beim Healer Within wird ein Gleichgewicht zwischen bewussten und unbewussten Prozessen hergestellt, das damit einen Standard für deren Verbindung definiert.
Die Hintergründe: Beginnen wir mit der Vermutung, dass an dem Begriff der ‚Weisheit des Körpers' etwas dran ist. Ich erinnere an ein Experiment von vor etwa 75 Jahren: Man erforschte damals die Möglichkeit, dass ein Organismus innerhalb entsprechender Rahmenbedingungen imstande ist, jene Nahrung und jene Nährstoffe auszuwählen, die er für sein Wohlbefinden braucht. ‚Versuchspersonen' in diesem Experiment waren Kleinkinder im Alter zwischen eineinhalb und zwei Jahren, denen Behälter mit Nahrungsmitteln vorgesetzt wurden – zusammengesetzt aus all jenen Elementen, die für eine gesunde und ausgewogene Ernährung eines Kindes wichtig sind. Zusammensetzung und Menge des Essens konnten sich die Kleinen selbst aussuchen. Dann sammelte man die Behälter ein, kontrollierte Menge und Zusammensetzung der selbst ausgewählten ‚Menüs'. Dies verglich man anschließend mit den Tabellen, die Richtwerte für eine ausgewogene Diät darstellten. In der ersten Woche waren die Ergebnisse – der Vergleich der konsumierten Nahrung mit den empfohlenen Ideal-Nährwerttabellen – enttäuschend. Kurze Zeit später – nämlich nach etwa zehn Tagen – begann sich die selbst gewählte ‚Babydiät' allerdings bereits dieser Idealmischung anzugleichen …
medianet: Worin besteht darin die direkte Verbindung zum NLP?
Grinder: Auch wir haben entdeckt, dass manche ‚Symptome', unter denen Menschen leiden, quasi eingefrorene Signale des eigenen Körpers darstellen. Einen Versuch des Körpers, durch unbewusste Prozesse, die die Kommunikation in Richtung Bewusstseins der Person darstellen, auf ein Ungleichgewicht hinzuweisen – im Lebensstil, in der Diät, in den sportlichen Aktivitäten …
Die Idee ist simpel: Schmerz oder Unwohlsein ist ein Warnsignal für ein ebensolches Ungleichgewicht – mit eben dem Ziel, auf diese Weise das Bewusstsein des Betroffenen zu alarmieren, damit die notwendigen Änderungen vorgenommen werden. Wird so ein Signal ignoriert oder mittels Medikamenten unterdrückt, erst dann entsteht daraus ein Symptom. Diese Signale sollen also aus ihrer statischen Kondition, die Symptome auslöst, zurückgeführt werden in eine aktive Kommunikation, die quasi als Verhandlungsmethode für ein ‚Neuarrangement' mit dem Körper und damit für die Gesundung genutzt werden kann.
Das ‚Neue' am New Code ist also die Wiederherstellung der Balance von bewussten und unbewussten Prozessen mittels einer ‚Programmierung', die wiederum ohne Mitwirkung des Bewusstseins vonstatten geht.
medianet: Apropos ‚Programmierung': Würden Sie aus Ihrer heutigen Perspektive eigentlich noch einmal diese Bezeichnung für Ihre Methode wählen?
Grinder: Die Bezeichnung NLP ist eine adäquate Demonstration der Tatsache, dass weder Bandler noch ich auch nur die geringste Ahnung von Marketing hatten. So viel steht fest. Ehrlich gesagt, erinnert mich der Name ja an Big Brother im Sinne von George Orwells 1984. Aber welchen Namen auch immer unser Konzept trägt, es ist draußen in der Welt und es macht einen Unterschied.
Ende März 2016 kommt John Grinder auch für einige Seminare nach Wien.