„Wir schießen uns ins Knie”
© APA/Hans Klaus Techt
Bernhard Felderer, Präsident des Österreichischen Fiskalrats
PRIMENEWS 20.11.2015

„Wir schießen uns ins Knie”

Bernhard Felderer nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Der Ökonom und Präsident des Österreichischen Fiskalrats über den Wirtschaftsstandort und dessen föderale ­Auswüchse, die Flüchtlinge und die „Gstopften”.

••• Von Helga Krémer

WIEN. Seit über zwei Jahren ist Bernhard Felderer Präsident des Österreichischen Fiskalrats. Der Ökonom war Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS) in Wien, Mitglied des Generalrats der Oesterreichischen Nationalbank und Präsident des Staatsschuldenausschusses. medianet sprach mit dem obersten Wächter unser aller Staatsschulden über Weitblick, Wahlordnung und Hypo.

medianet:
Unser Wirtschaftsstandort lechzt nach Reformen. Warum tun sich die Verantwort­lichen mit der Verwaltungsreform so schwer?
Bernhard Felderer: Es gibt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die die Frage untersucht hat: ‚Gibt es Gruppen, die Gesetze verhindern können?' Verglichen wurden etliche Länder innerhalb und außerhalb Europas. Österreich ist ziemlich an der Spitze als ein Land, das sehr viele Veto-Player hat. Die Arbeiterkammer, die Landeshauptleutekonferenz, die politischen Parteien, um nur ein paar zu nennen. Das Problem liegt darin, dass wir eine Wahlordnung haben, die es den Landeshauptleuten ermöglicht, zu entscheiden, wer auf der Liste für den Nationalrat an erster, zweiter, dritter Stelle usw. steht. Warum? Weil sie zugleich Parteichefs sind. Dadurch wissen die Abgeordneten im Nationalrat, dass sie, wenn sie in einer strittigen Frage nicht mit ihrem Landeshauptmann stimmen, nicht mehr aufgestellt werden. Ob die Angst berechtigt ist oder nicht, werde ich nicht beurteilen. Das müsste geändert werden.

medianet:
Was wäre also zu tun?
Felderer: Es müsste ‚Vorwahlen' geben, dass nicht mehr der Landeshauptmann entscheidet, wer wo gereiht ist und damit im Nationalrat sitzt, sondern die Bevölkerung. Damit wäre die Freiheit der Nationalratsabgeordneten wesentlich vergrößert. Manche sagen, man müsse den Föderalstaat überhaupt abschaffen; ich glaube, das geht zu weit. Es gibt aber eine Verwaltungsebene, nämlich die Bezirkshauptmannschaftsebene, die wir eigentlich einsparen könnten.

Dass in dieser Legislaturperiode 10.000 Bundesbedienstete eingespart werden, das habe ich schon zwei oder drei Mal in Regierungserklärungen gesehen. Da bin ich nicht so optimistisch. Es gibt viele Möglichkeiten, in den Ländern die Kosten der Verwaltung zu reduzieren, das wissen auch die Landeshauptleute. Auch wenn es unpopulär wäre, manche Dienststellen abzuschaffen, in den Lohnnebenkosten beispielsweise die Wohnbauförderung zu kürzen und damit ein Versorgungsinstrument für ausgediente Landespolitiker zu beseitigen. Es gibt etliche Dinge, die man machen könnte.


medianet:
Im Augenblick grassiert die Angst vor den vielen Flüchtlingen. Ist diese Angst volkswirtschaftlich berechtigt?
Felderer: Kurzfristig werden wir sicher hohe Kosten haben, die liegen nach Schätzungen des Fiskalrats für 2015 unter einer Milliarde. 2016 wird sich das schon deutlich erhöhen. Langfristig sehe ich, und da sind sich alle Ökonomen einig, die Sache positiv. Weil wir wissen, dass wir eines Tages mit unserer Bevölkerung ein großes Problem bekommen werden. Sofern sich nicht in unerwarteter Weise im Reproduktionsverhalten der Österreicher irgendwas tut. Wir haben keinen einzigen geschichtlichen Fall, wo eine schrumpfende Bevölkerung mit einer stabilen Wirtschaft einhergegangen ist, sondern wachsende Bevölkerungen haben das Pro-Kopf-Einkommen erhöht. Das Umgekehrte hat zum Zusammenbruch der sozialen Systeme geführt.

medianet:
Wir haben einen begrenzten budgetären Handlungsspielraum. Kann man wirklich alles dem Hypo-Desaster in die Schuhe schieben?
Felderer: Aber nein. Der Staat hat immer größere Mühe, seine Ausgaben zusammenzuhalten, weil so viele Gesetze da sind und so viele Erwartungen an ihn da sind. Das zeichnet sich schon länger ab, wird aber jetzt ernster.

Bei den Einnahmen ist es so, dass die staatlichen Einrichtungen immer noch neue Einnahmen erfinden, die Abgabenquote war noch nie so hoch wie gegenwärtig, sie liegt jetzt fast fünf Prozentpunkte über der deutschen. Wir müssten dringend von dieser Abgabenquote herunterkommen. Es gibt Länder, die mit 35 Prozent auskommen. Dann sagt man wieder ‚Ja, die haben weniger Sozialversicherung'. Stimmt, aber selbst wenn wir die Sozialversicherung herausrechnen, haben wir noch immer besonders hohe Staatsausgaben.


medianet:
Was machen wir falsch?
Felderer: Ein Beispiel. Während der Krise, als vom Sparen die Rede war, haben wir die Steuern erhöht. Wie zwei Drittel der europäischen Nationen. Als Antwort auf die Krise die Steuern erhöhen? Das halte ich für einen völligen Unsinn, denn wenn ich weiß, ich bin in der Krise, muss ich ja im Gegenteil die privaten Nachfrage stärken, ich muss mehr Geld ausgeben und weniger Steuern verlangen. In so einer Krise kann ich mich durchaus verschulden, aber eben über Steuersenkung, nicht über Mehrausgaben. Wir verwenden meistens das letzte Ins­trument, und haben leider auch die Abgabenquote insgesamt erhöht.

medianet:
Hat sich daran bei der letzten Steuerreform etwas geändert?
Felderer: Die letzte Steuerreform hat vor allem eine Änderung des Tarifs gebracht, also Einsparung bei Lohn- und Einkommenssteuer. Diese Steuerreform ist ja fast nur durch Steuern auf der anderen Seite, also Einnahmen, finanziert. Durch Betrugsbekämpfung, Steuern auf Kapital – der Tarif wird jetzt für hohe Einkommen auf 55 Prozent erhöht. Insgesamt haben wir einen der aggressivsten Tarife in der EU. Bei uns zahlt die Mehrheit sehr viel, der Mittelstand zahlt fast 50 Prozent. Das ist ein Steuersatz, der meiner Ansicht nach überzogen ist. Das kann ich, glaube ich, nicht als Fortschritt verkaufen.

medianet:
Gibt es weitere Punkte, die uns fehlenden Weitblick attestieren?
Felderer: Manchmal ist es doch ziemlich haarsträubend, wo der Staat sich überall einmischt. Schauen Sie, Leute haben Immobilien gekauft, um sich das Alter zu sichern. Plötzlich kommt die Bestimmung; die Steuerfreiheit nach zehn Jahren Behaltezeit fällt weg. Die Leute hatten aber mit diesen 25 Prozent für ihre Altersplanung kalkuliert. Das hat für sie rückwirkende Bedeutung. Wenn Lebenspläne so beeinflusst werden, dann glaub ich nicht, dass das eine gute Politik ist. Besonders radikal war es bei den Stiftungen, aber da gehts ja um die G'stopften, die wirklich Reichen und mit denen darf man ja alles machen. Das ist ein Irrtum. Wir wissen von mehreren großen Stiftungen, dass die in Österreich abgemagert werden, dass Einkommensströme an Österreich vorbeigeleitet werden. Mit solchen Sachen schießt man sich selbst ins Knie.

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