Kreativität braucht den „Kuschelfaktor”
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CAREER NETWORK Redaktion 21.02.2020

Kreativität braucht den „Kuschelfaktor”

Der beste kreative Output kommt nicht von Eigenbrötlern im Elfenbeinturm, sagt Anne M. Schüller.

••• Von Anne M. Schüller

Innovationen haben heutzutage fast immer auch mit Digita­lisierung zu tun. Doch ganz am Anfang brauchen sie vor allem eins: unkomplizierte Austauschmöglichkeiten. Jede Idee wird besser und jeder Arbeitsschritt klüger, wenn man seine Gedankenrohlinge mit anderen teilt. Ein virtueller Beziehungsaufbau ist besser als nix, doch Ferne sorgt für Distanz. Studien der Boston University haben darüber hinaus gezeigt, dass körperlich anwesende Personen tendenziell positiver beurteilt werden als virtuelle Präsenzen.

Auch Vertrauen, der Komplexitätsreduzierer par excellence, entsteht durch physische Nähe. Erst, nachdem man sich leiblich nahe war, sich im wahrsten Sinne des Wortes beschnuppert und begriffen hat, kann man auch auf virtuellen Zuruf hin gut zusammenarbeiten. Wen man hingegen nicht persönlich kennt, dem vertraut man eher nicht. Und wem man nicht vertraut, mit dem macht man auch keine Geschäfte.

Nähe ermöglicht Wahrheit

Beziehungsdichte ist überaus wichtig, weil Menschen am besten zusammenwirken, wenn sie sich sehen. Warum das so ist? Worte können lügen. In Gestik und Mimik zeigt sich die wahre Gesinnung. Dies erzeugt in uns Resonanz. Ein gutes Intuitionsradar kann das spüren und decodiert friedvolle Absichten genauso wie Ruchlosigkeit.

Körpersprachliche Signale können nur bei physischer Anwesenheit wirklich gut entschlüsselt werden, weil dann alle Sinne beteiligt sind. Auch Empathie funktioniert am besten bei räumlicher Nähe. Bereits bei einem Abstand von mehr als zwei Metern lässt sie nach, wie Untersuchungen zeigen.
Im digitalen Raum verlieren wir das Gefühl für richtig und falsch. Im Web erleben wir derzeit das Ende der Wahrheit. Je mehr Fakes dort ihr Unwesen treiben, desto wichtiger wird Face-to-Face. Hemmschwellen sinken in der Anonymität. Hingegen verändert Augenkontakt das Verhalten der Menschen zum Guten.

Output im Optionenwirrwarr

Inspiration braucht physische Nähe. Die Protagonisten der Internet-Elite sind sich dessen sehr wohl bewusst. Wie kaum eine andere Spezies pflegen sie ihre Kontakte auch im wahren Leben. Sie alle wissen: Digitales Netzwerken alleine reicht eben nicht. Auf der weltweiten Developer Konferenz von Apple (WWDC) kommen jährlich weit mehr als 5.000 Digitalexperten zusammen, um über neue Entwicklungen leibhaftig zu diskutieren. Ähnliches passiert auf Googles jährlicher I/O-Konferenz.

Auch auf klassischen Kongressen und Branchenmessen stellt man fest, dass diese nicht in erster Linie der fachlichen Arbeit, sondern vor allem dem Netzwerken dienen. Selbst am digitalsten aller Orte, im Silicon Valley, steht Physisches hoch im Kurs. Christoph Keese, der für seine Buchrecherchen im Mekka der Internetwelt gelebt und nach Erfolgsmustern gesucht hat, fand es dort gar nicht so digital: „Alle Firmen, die ich besuche, legen Wert auf Dichte. Physische Nähe, glauben sie, ist so wichtig wie die Abwesenheit allzu strenger Regeln. Räumliche Distanz behindert Kreativität, ebenso wie steifer gesellschaftlicher Umgang oder soziale Konvention. Vorschriften töten Ideen. Menschen werden kreativ, wenn sie beruflich so arbeiten dürfen, wie sie privat leben: eng verwoben, in freundschaftlichem Abstand, im ständigen Dialog, im freien Spiel der Ideen”, schreibt er in seinem Bestseller „Silicon Valley”.

Kollektive Intelligenz

Der beste kreative Output kommt nicht von Eigenbrötlern im Elfenbeinturm, sondern im realen Getümmel umherschwirrender Geistesblitze an inspirierenden Orten. Zwar ist die Intelligenz Einzelner von Bedeutung, wenn es um Ergebnisse geht, die kollektive Intelligenz, auch „Weisheit der Vielen” genannt, spielt jedoch eine noch viele größere Rolle. Wenn genügend kluge Köpfe zusammenkommen, lässt sich jedes Problem lösen. Gemeinsam gelingt es am besten, Ideen zu entwickeln, die zuvor noch niemand hatte und auf die man allein nicht gekommen wäre.

„Gockel” und „Diven”

Diversität plus drei weitere Faktoren erhöhen den Gruppen-IQ und bringen Ideen ins Rollen: mindestens zwei Frauen in der Gruppe, einfühlsames Verhalten der Mitglieder und gleichberechtigter Austausch auf Augenhöhe, so die Organisationsprofessorin Anita Woolley. Vielredner und Selbstdarsteller hingegen verringern den Gruppen-IQ, was gleichermaßen für aufgeblasene „Gockel” als auch für „Diven” gilt.

Stimmen die Rahmenbedingungen, dann steigt nicht nur die Aussicht auf eindrucksvolle Erfolge. Es steigt auch die Chance auf den Serendipity-Effekt. Das ist das Stolpern über glückliche Zufälle, was durch die „Weisheit der Vielen” begünstigt wird. Wissen verflüchtigt sich, wenn man es hortet. Wenn Wissen hingegen frei seine Bahnen zieht und sich weitläufig vernetzt, kann dies zu den erstaunlichsten Fortschritten führen.

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