Die 50Hertz – Teil der Elia Gruppe – ist ein Übertragungsnetzbetreiber, der elektrische Energie im Osten Deutschlands und in Hamburg über große Entfernungen in einer Stromkreislänge von mehr als 10.000 Kilometern transportiert. Das ist die Entfernung von Berlin nach Rio de Janeiro. Damit wird die Versorgung von mehr als 18 Millionen Menschen mit elektrischer Energie sichergestellt. Dazu gehören unter anderem Konzern-eigene 380.000 Volt-Hochspannungsleitungen und die nötige Infrastruktur wie Umspannwerke und Transformatoren.
Im September startete mit dem MCCS Grid Control (Modular Control Center System) das erste Event-getriebene Netzmonitoringsystem im Parallelbetrieb zu den bisherigen Lösungen. Das ist der erste Schritt in eine Event-Streaming-Zukunft, die das Stromnetz für kommende Aufgaben fit machen soll. Bei Ralf Heisig, Product Manager MCCS für 50Hertz, laufen alle Fäden der spannenden, neuen Entwicklung zusammen.
medianet: Was ist die Aufgabe von 50Hertz?
Ralf Heisig: 50Hertz ist führend bei der sicheren Integration Erneuerbarer Energien: In unserem Netzgebiet stammen über 60 Prozent des verbrauchten Stroms aus regenerativer Erzeugung – bis zum Jahr 2032 wollen wir über das Jahr gerechnet 100 Prozent Erneuerbare Energien sicher in Netz und System integrieren.
medianet: Was war die Aufgabenstellung?
Heisig: In einem Control Center übernimmt eine Software die Beobachtung und Steuerung der Netze in Echtzeit. Das bedeutet bei uns den Zeitraum von maximal einer Sekunde. Der Mitarbeiter im Control Center rechnet also damit, dass jede Anzeige innerhalb von einer Sekunde aktualisiert wird. Die Prozesse untereinander werden noch schneller verarbeitet. Die Kernaufgaben sind die Überwachung des Netzzustands, der Energieflüsse und sonstiger Sensordaten.
Nach Bedarf nimmt ein Operator Netzeingriffe vor oder weist energetische Maßnahmen an. Dafür waren konventionelle Netzleitsysteme ausreichend.
Nun findet ein Paradigmenwechsel statt. Wir sprechen von viel mehr und viel schnelleren Informationen über das Netz, die verarbeitet werden müssen und nicht mehr nur von jenen von Leistungsschaltern oder des Trafos. Wir haben Wetterdaten, es gibt Prognosedaten zum Stromverbrauch und Einspeisung und weitere, sehr detaillierte Systeminformationen zum Netzzustand. Die Anzahl und Art der Datenquellen erhöht sich drastisch.
Das Kunststück ist, nicht einfach noch mehr Informationen an die Operatoren zu übergeben, sondern eine intelligente Zusammenführung der Informationen zu erreichen. So waren Wetterdaten bisher strikt von den operativen Netzleitsystemdaten getrennt. Diese Informationen werden nun zusammengeführt, damit die Operatoren eine effiziente und sichere Entscheidung treffen können.
medianet: Statt wie bisher alte Systeme miteinander zu koppeln, wurde MCCS entwickelt?
Heisig: Wenn man wie bisher monolithische Systeme miteinander koppelt, entstehen viele unterschiedliche Schnittstellen, die manuell gemanagt und aktuell gehalten werden müssen. Das führt auch bei Upgrades zu Problemen, da sich technische Interfaces und Datenformate ändern und neue Informationen hinzukommen. Deshalb haben wir eine Architektur definiert, in der Module flexibel in die MCCS-Plattform eingebunden werden. Im September wurden erste Funktionen wie die Netzbeobachtung an das Control Center zum Parallelbetrieb übergeben. In unserem modularen System greifen in Zukunft etwa Steuerungs-, Prognose- und Planungsmodule auf die gleichen Informationen zu und befinden sich im gleichen architekturellen Verbund, einem Digitalen Eco-System. Später kommen noch Erweiterungen wie Analysemodule hinzu.
medianet: Was sind die Vorteile des brandneuen Kontrollsystems?
Heisig: Es ist zukunftssicher und wird auch den herausforderndsten Anforderungen gerecht. Änderungen können in kürzester Zeit eingebaut werden. Eine möglichst große Unabhängigkeit von anderen Systemen wird erreicht. Unser Ansatz ist durchgängig Datenfokussiert und Event-getrieben. Um das zu erreichen, haben wir uns für eine Event-Streaming-Plattform Kafka als technologischen Kern von MCCS entschieden. Die Daten sind harmonisiert für alle denkbaren bestehenden und neuen Anwendungsfälle in Echtzeit verfügbar.
medianet: Wie kommt ein Höchstspannungsnetzbetreiber dazu, Software für das Control Center zu entwickeln?
Heisig: Für uns war das Neuland. Eine Software in diesem Umfang zu entwickeln und zu orchestrieren, war nicht unsere Kernaufgabe. Wir haben Leitungen und Umspannwerke gebaut und schwere Assets wie Transformatoren installiert. Software in dieser Größe zu entwickeln, ist neu. Wir mussten das Knowhow aufbauen und haben dazu andere Experten geholt, die sich mit vielen Themen und relevanten Fragestellungen auskennen. Ein Thema war die Implementierung der Streaming-Plattform, das architektonische Mitdenken und Gestalten. Das hätten wir ohne Unterstützung von außerhalb durch externe Dienstleister nicht geschafft. Im ersten Jahr haben wir bewiesen, dass wir ein Produkt bauen können, jetzt zeigen wir, dass das Grid-Monitoring funktioniert und einen Business-Nutzen hat.