Umdenken nötig
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DOSSIERS Jürgen Polterauer 15.03.2019

Umdenken nötig

Behavioral Marketing ist mehr als nur ein Buzzword – es ist die nächste Evolutionsstufe im Marketing.

••• Von Jürgen Polterauer

Die richtige Kommunikation an die richtige Person zum richtigen Zeitpunkt, über den vom Rezipienten präferierten Mediakanal”. So ist oft zu lesen. Doch verhaltensbasiertes Marketing so zu beschreiben, kommt dem Versuch gleich, ein Flugzeug mit „es fliegt” oder ein Auto mit „es fährt” zu beschreiben. Dies ist nur die Spitze des Eisbergs.

Zunächst das Wichtigste: 66 Prozent aller Kundenkontakte eines Unternehmens werden vom Kunden initiiert. Bisher beschränkte sich Marketing und Werbung oft auf die verbleibenden 33 Prozent und man gab das größte Feld der Kommunikation an Vertrieb, Customer Care und weitere ab. Wenn wir aber heute von Customer Journey Management sprechen, dann meinen wir nicht Abteilungen, sondern das optimale Managen von ­Kundenbedürfnissen und das Schaffen von positiven Erlebnissen.
Behavioral ist also mehr als ein Trend oder „wieder so ein neues Medium”. Es fällt damit auch nicht in Kategorien wie „Social”, „Influencer” oder sonstige Buzz-Words unserer Zeit. Es ist vielmehr eine Haltung, eine Veränderung der Methodik im Marketing – so, als ob wir eine neue Art der Medizin erfunden haben. Folglich geht es nicht darum, „mit einem Projekt einmal mitzumachen”, sondern darum, die nächste Evolutionsstufe zu meistern oder auszusterben.

Der Kunde im Mittelpunkt.

Diesmal wirklich. Denn Marketing filtert Verhaltensmuster und wandelt diese in fertige Kommunikationsabfolgen über verschiedene Medien um. In Echtzeit holt der Kunde damit seine persönlich gestaltete Kommunikation ab – datentechnisch so weit gefertigt, dass die Inhalte zwingend relevant sind. Dabei gibt es ein zentrales Gesetz: „Verhalten vor Soziodemografie”. Im Klartext negiert das alle bisherigen Targetingmethoden und Zielgruppenansätze. Denn einzig das Verhalten zählt und definiert unsere Bedürfnisse.

Im Targeting haben wir Menschen in der Vergangenheit immer schubladisiert. Aufgrund Alter, Einkommen und Geschlecht haben wir bestimmt, wer für eine Marke infrage kommt (und wer nicht). Und dieses Targeting haben wir beibehalten. Das ganze Jahr über. Heute arbeiten wir aber mit allen verfügbaren Informationen und Produkterlebnissen und machen diese allen, die sich dafür interessieren, zugänglich. Wir demokratisieren damit Inhalte und schaffen eine breite, aber relevante Basis.
Damit sparen wir den Konsumenten Zeit und fokussieren deren Aufmerksamkeit. Werte, die in der heutigen Zeit immer mehr an Bedeutung gewinnen. Denn nicht nur wirtschaftliche und ökologische Effizienz wird großgeschrieben, sondern die frei werdenden Kommunikationskapazitäten können wie Branding und als Sprungbrett für neue Bedürfnis-Ideen verwendet werden. Wir sprechen deshalb bei Kunden nicht mehr von Reichweite, sondern vom Synapsenanteil, den wir bei Kunden erreichen können.
Und der Kunde? Der moderne Konsument hasst Spam, also Kommunikation, die persönlich nicht interessiert. Und das hat schlichtweg den Grund, dass das Zeitbudget der Konsumenten und die permanente, schnelle und vor allem dauerhafte Beschallung durch Medien an die natürlichen Kapazitätsgrenzen der Rezipienten stößt.
Relevanz zählt und verändert unsere Messwerte substanziell: Genau genommen, erreichen wir im Behavioral immer 200 bis 300 Prozent Steigerungen in Conversions bei einer Reduktion der Gesamtauflage um mindestens 75 Prozent. Und das sind keine Einzelfälle. Damit lässt sich messbar eine substanzielle Steigerung jederzeit beweisen. Es ist schlichtweg die neue Methodik, die uns eine neue Welt der Benchmarks zeigt.

Gemeinsamen Nenner finden

Die Veränderung der Unternehmen findet zukünftig durch das Marketing statt. Wie sehr Behavioral Marketing mehr als eine Werbeform ist, zeigt ein kleines Beispiel: In der verhaltensbasierten Kommunikation zählt die oberste Prämisse des uniquen Kundenverhaltens. Technisch ist es eine Cookie-ID, eine E-Mail-Adresse oder einfach ein Login. In ERP-Systemen gelten aber oftmals andere Parameter, wie zum Beispiel Auftragsnummern, Bereichstrennungen oder unterschiedliche – einander konkurrierende – Vertriebskanäle. Hier einen gemeinsamen Nenner, über Soziodemografie, Herkunft, Datenhoheit und organisatorische Hürden, zu finden, ist oftmals ein Prozess, der Unternehmen in ihren Grundfesten verändert.

Und genau hier trennt sich die Spreu vom Weizen: Ist Marketing bereit, diese Verantwortung zu übernehmen? Und ist ein Unternehmen bereit, eine solche Veränderung zu starten? Damit wird aber auch eines deutlich: Schluss mit der Zeit, in der Marketing zum „Kanal-Arbeiter” degradiert wurde. Es geht schon lange nicht mehr nur darum, lustige Umsetzungen in Fabriksarbeit zu fertigen. Vielmehr nimmt Marketing damit wieder eine zentrale Stellung in der Unternehmensführung ein. Marketing ist der zentrale Datenhub, der Kundenströme über alle Abteilungen hinweg steuert und optimiert. Alle Zahlen, Daten und Fakten laufen wieder beim Marketing zusammen und können für neue Entscheidungen und Projekte verwendet werden.

In Geschehen aktiv eingreifen

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Einführung erfolgreichen Behavioral Marketings meist einen starken und innovativen Marketingleiter braucht. Und diese sind so gefragt wie noch nie zuvor. Wir stehen an der Schwelle, wo AI (Artificial Intelligence) aktiv in das Geschehen eingreift. In wenigen Jahren wird es eine Maschine sein, welche die richtigen Kommunikationsmittel für die richtigen Kanäle fertigt und versendet. Und bis dahin müssen wir als Mensch im Marketing die nächste Evolutions­stufe gemeistert haben: die zentrale Wissensplattform über unternehmerische Entscheidungen. Natürlich datenbasiert.

Jürgen Polterauer ist CEO und Gründer der Dialogschmiede. Mit Standorten in Wien, Berlin und Zürich führt das Unternehmen Echtzeit-Kommunikation über die Grenzen hinaus.

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