Nachhaltige Erfolgsformeln dringend gesucht
© Adler-Werk Lackfabrik
INDUSTRIAL TECHNOLOGY PAUL CHRISTIAN JEZEK 08.07.2016

Nachhaltige Erfolgsformeln dringend gesucht

Die Chemische Industrie wünscht sich optimierte Rahmenbedingungen und plädiert für das umstrittene TTIP-Abkommen.

••• Von Paul Christian Jezek

Zuletzt hat „die Chemie nicht so ganz gestimmt”, denn trotz guter Rahmenbedingungen wie dem schwachen Euro, günstigem Erdöl sowie niedrigen Zinsen war das Geschäftsjahr 2015 für die heimische Chemische Industrie von einem leichten Rückgang des Produktionswerts gekennzeichnet.

„Hauptverantwortlich für diese Entwicklung waren die schwächelnde Inlandsnachfrage und der Rückgang in einigen Exportdestinationen wie etwa Russland”, erklärt der Obmann des Fachverbandes der Chemischen Industrie Österreich (und Rembrandtin-GF), Hubert Culik. Um für die Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben, fordert die Branche bessere wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen und ein innovationsfreundlicheres Klima.
„Die wichtigsten Reformbaustellen wie Bürokratieabbau, Arbeitszeitflexibilisierung und Bildungsreform wurden richtig erkannt”, meint Culik. „Jetzt geht es darum, einen Change Management-Prozess einzuleiten. Nur so gewinnt die Wirtschaft wieder Vertrauen in den Standort, und Österreich kommt wieder auf die Überholspur.”

Viel Verbesserungspotenzial

Die aktuellen (wirtschafts-)politischen Veränderungen – Stichworte: Modernisierung der Gewerbeordnung, Start-up-Paket – sehen auch „die Chemiker” als große Chance, um reformbedürftige Themen sachlich, transparent und politisch fair abzuarbeiten. Von der neuen Regierungsmannschaft erwartet man sich eine Roadmap mit messbaren Zielen, Zeitplan, definierten Zwischenschritten und laufendem Controlling. Immerhin ist laut ­Culik das Potenzial so groß wie nie zuvor: „Megatrends wie das rasante Bevölkerungswachstum und globale Urbanisierung machen Inno­vationen aus der Chemischen Industrie praktisch unverzichtbar.

Um die globale Entwicklung und die Märkte der Zukunft aktiv mitzugestalten, sind geeignete handelspolitische Rahmenbedingungen die Voraussetzung.”

Eine Lanze für TTIP

Dem TTIP-Abkommen mit den USA komme dabei besondere Bedeutung zu, weil damit die zwei größten Wirtschaftsblöcke der Welt den gegenseitigen Zugang zu Waren, Dienstleistungen und Investitionen verbessern wollen, andererseits weil TTIP Vorbild für weitere Freihandelsverträge sein könnte. „TTIP ist eine Chance für die westliche Welt, die Spielregeln für die Weltwirtschaft im 21. Jahrhundert vorzugeben – und diese Chance sollten wir nicht anderen überlassen”, mahnt Culik. Gerade für die exportabhängige Chemische Industrie – in Österreich liegt die Ausfuhrquote bei fast 70% – verspricht das große Möglichkeiten. „Die Chemische Industrie Österreichs exportiert derzeit sechs Prozent ihrer Waren in die USA, die unser viertgrößter Handelspartner sind”, so Culik zu den erwarteten Wachstumsimpulsen. „Das heißt, wir haben schon einen Fuß in der Tür und bereits die Grundlagen geschaffen – mit TTIP können wir diesen Markt noch besser für uns erschließen.”

Die Zielsetzung von TTIP sei nicht nur eine Reduktion von Zöllen, sondern auch ein Abbau von überbordenden Bürokratieaufwendungen, die Barrieren für Handel und Investitionen darstellen und ein langfristiges Wohlstandswachstum verhindern. „In der öffentlichen Diskussion werden häufig Ängste geschürt, dass das Sicherheitsniveau bei Chemikalien in Europa durch TTIP gesenkt werden könnte. Dazu ist festzuhalten, dass alle veröffentlichten Dokumente zeigen, dass bei TTIP die unterschiedlichen Rechtsbereiche mit ihren Schutzniveaus beibehalten werden sollen.”
Ein Entwicklungsfeld mit Zukunft sind für die Branche die intensiven Forschungstätigkeiten im Bereich der Biokatalyse und Grünen Chemie. „Chemie 4.0” bezeichnet die Entwicklung von völlig neuartigen Verfahren und Materialien, die den Kunden maßgeschneiderte Produkte und Leistungen bieten. „Chemie 4.0 ist ein komplexer und zugleich spannender Prozess, der mit einer Idee im Labor beginnt und die Innovation zur industriellen Fertigung bringt”, meint Culik. „Green Chemistry und Smart Chemistry sind die Stoffe, aus denen die Zukunft gemacht wird.”

Das Bangen um die weiße Farbe

Von der EU angestrebte Beschränkungsmaßnahmen von wichtigen Rohstoffen stellen neue Herausforderungen auch an einen Teilbereich der „Chemiker”, nämlich an die Lackindustrie. So könnte die Einstufung von Titandioxid (TiO2) als krebserregend der Branche das wichtigste Weißpigment entreißen, kritisiert Hubert Culik, der auch der Lackindustrie als Obmann vorsteht. „Oft unterliegen Neubewertung bzw. Verbote und Beschränkungsmaßnahmen keinerlei fundierten wissenschaftlichen Grundlagen – von einer derartigen Einstufung wären aber sämtliche Produkte vom Speziallack bis zur Wanddispersion betroffen!”

Denn Alternativen zu Titandioxid gibt es keine, weil andere Weißpigmente wie etwa Zinkoxid oder Bleikarbonat untauglich bzw. umweltgefährdend sind. Culik: „Millionen von Konsumenten kommen weltweit tagtäglich mit TiO2 in Kontakt. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass eine krebserregende Wirkung bei einer solch weitreichenden Exposition bislang verborgen bleiben konnte.”
Die von der EU angestrebten Beschränkungen im Biozid-Bereich erschweren die Haltbarkeit besonders bei wasserbasierten Farben und Lacken, da diese Produkte ohne Konservierungsstoffe nur noch in Kühlung gelagert werden könnten. „Der heutige Kenntnisstand ermöglicht einen sehr bewussten und nachhaltigen Umgang mit Bioziden”, ist Albert Keiler, Obmann-Stv. der Lackindustrie und Technischer Leiter bei Adler, überzeugt. „Pauschale Mengenreduzierungen ohne Berücksichtigung des Nutzens von Bioziden werden von uns abgelehnt.”
Generell fordert die Lackindustrie die EU-Kommission auf, einen risikobasierten Ansatz bei Verboten und Beschränkungen zu wählen, und wünscht sich durch Übergangsfristen mehr Zeit, um auf Änderungen reagieren und Rohstoffe ersetzen zu können. „Im Fokus aller Bemühungen muss die Sicherung der internationalen Wettbewerbs­fähigkeit und die Stärkung des Industriestandorts Österreich stehen”, fordert Culik. Maschinensteuer und Arbeitszeitverkürzung würden sich negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken, die Lackindustrie brauche Entlastungen und flexible Arbeitszeitmodelle.

Nachhaltige Lackierer

Zu den aktuellen Megatrends zählt für die Lackindustrie die Nachhaltigkeit. „Wir bewegen uns hier weg von erdölbasierenden Rohstoffen zu Rohstoffen aus nachwachsenden Quellen”, erläutert Culik. So gewinnt die industrielle Biotechnologie für die Lackindustrie immer mehr an Bedeutung. Durch Fermentation mit Mikroorganismen entstehen aus Biomasse Basisrohstoffe für die Lackproduktion wie etwa Acrylsäure, Asparaginsäure, Itaconsäure und Adipinsäure. „Der CO2-Fußabdruck dieser biobasierten Rohstoffe für die Lackindustrie ist teilweise um einen zweistelligen Prozentbetrag kleiner als jener Rohstoffe, die aus der petrochemischen Produktion stammen”, sagt Culik.

Darüber hinaus gibt es eine deutlich bessere Energieeffizienz bei der Herstellung dieser Rohstoffe. Beispielsweise können aus diesen nachwachsenden Rohstoffen Höchstleistungshärter für Polyurethan-Lacke hergestellt werden, die damit nahezu vollständig aus biobasierten Komponenten bestehen.

Steigerung bei den Lackierern

Summa summarum haben die Unternehmen der Lack- und Anstrichmittelindustrie zuletzt (2015) eine Gesamtproduktion von 152.000 t Lack- und Anstrichmittel erzielt. Der Holz- und Möbellackbereich konnte eine leichte Umsatzsteigerung von 1 bis 1,5% verzeichnen – besonders der Bereich der Bautenfarben und Bautenlacke musste jedoch Einbußen hinnehmen. Auf sehr niedrigem Niveau stabilisierte sich der Industrie- und Autolack-Sektor, der (auch) durch die Krise im VW-Abgas-Skandal betroffen war.

„Wir sind zuversichtlich, dass das Jahr 2016 besser ausfallen wird”, ist Hubert Culik optimistisch. „Im ersten Halbjahr ist im Sektor Bautenfarben/-lacke bereits eine gewisse Erholung spürbar, ebenso im Bereich Korrosionsschutz, Maschinenbau und bei Lacken und Beschichtungen für Metallerzeugnisse.”

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