Was bedeutet der Green Deal für Europa?
© Horváth
DOSSIERS Redaktion 08.09.2023

Was bedeutet der Green Deal für Europa?

Es wird eine Menge Geld und Anstrengungen kosten, um die ­Umweltziele zu erreichen, die für die Energiewende unabdingbar sind.

Matthias Deeg leitet global die Bereiche Energiewirtschaft und Sustainability bei Horváth. Er wohnt in der Nähe von Frankfurt, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Dass der Top-Nachhaltigkeitsexperte auch privat alternative Wege geht, zeigt, dass er statt auf einen Rasenmäher auf zwei Schafe im eigenen Garten setzt.


medianet:
Der European Green Deal ist ja bereits seit einigen Jahren in Kraft. Ist Europa auf dem richtigen Pfad, um die Umweltziele zu erreichen?
Matthias Deeg: Die EU hat mit dem Green Deal, aber auch mit RepowerEU, ein sehr hohes Ambitionsniveau erreicht. Viele europäische Initiativen und Legislativvorschläge zielen darauf ab, unsere Umweltziele zu erreichen und die Mitgliedsstaaten zu entsprechenden Maßnahmen zu animieren. Gerade erst wurden mit der RED III auch die Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren bis 2030 massiv angehoben. Das wird das Erreichen der Klimaziele jedenfalls weiter beschleunigen und die Basis für einen Hochlauf der Erneuerbaren und Wasserstoffwirtschaft legen. Um aber tatsächlich im Jahr 2050 net zero zu sein, bedarf es noch weiterer und größerer Anstrengungen. Nicht zuletzt müssen die Maßnahmen noch besser koordiniert und zügiger umgesetzt werden.

medianet:
Welche Kernthemen müssen in Europa angegangen werden, um die Ziele des Green Deals zu erreichen?
Deeg: Es muss vor allem ausreichend Geld zur Verfügung gestellt werden. Ohne eine entsprechende öffentliche Finanzierung werden wir keine europäische Antwort auf den IRA der USA oder auch die Steuer­gutschriften in Kanada geben können. Europa droht als Produktionsstandort an Bedeutung zu verlieren. Ein weiteres zentrales Thema ist eine ­europäische Infrastruktur an Häfen, in den windreichen Meereszonen und beim Wasserstoffbackbone, das heißt, insbesondere ein ausreichend großes Wasserstoffpipeline-Netz und ausreichend Speicherkapazitäten zur Verfügung zu stellen. Nur wenn der grüne Strom auch zu den Verbrauchern gelangt, können wir die ­Dekarbonisierungsziele schnell genug erreichen. Und die europäische Regulatorik muss einfacher und pragmatischer werden, sie muss einen Rahmen setzen, darf aber nicht abschrecken.

 

medianet: Viele Technologien, die wir für die Energiewende benötigen, wie PV, Wind, Wasserstoff, Batterien, Wärmepumpen, Geothermie, werden gerade neu bewertet. Wie schätzen Sie den Beitrag dieser Technologien nach aktuellem Stand ein? Wo liegen die Herausforderungen?
Deeg: Entscheidend für das Gelingen der Energiewende sind genügend PV- und Windkraftanlagen sowie leistungsfähige Batteriespeicher-Technologien, um die Überproduktion, aber auch die Lücken, zu glätten. Zudem eine signifikante innereuropäische Produktion von erneuerbarem Wasserstoff samt der dazugehörigen Elektrolyseur-Industrie. Wärmepumpen werden ihren Anwendungsbereich finden und starke Wachstumstraten erzielen. Auch die Geothermie hat sicherlich großes Zukunftspotenzial, aber es werden bei Weitem nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Am Ende brauchen wir ohnehin alle verfügbaren ­Technologien und vor allem eine rasche Skalierung, um die Kosten zu senken.

medianet:
In welche dieser Technologiefelder sollte Europa investieren bzw. wo global ­führend sein?
Deeg: Mit dem Net Zero Indus-try Act will Europa versuchen, in all den genannten Technologiefeldern führend zu sein. Durch Sektorziele sollen bis 2030 40 Prozent der im Cleantech-Bereich weltweit entstehenden Kapazitäten aus Produktionsstätten der EU stammen. Aus meiner Sicht sind die Bemühungen um eine europäische Elektrolyseur-Industrie und neue Batterietechnologien Erfolg versprechend. Bei der Photovoltaik geht es vor allem darum, neue Technologien wie z.B. Perowskit-Solarzellen zur Serienreife zu bringen. Im Bereich der Windkraft verspreche ich mir viel von der Entwicklung einer leistungsfähigen Offshore-Wasserstoffproduktion direkt am Windrad oder in dessen unmittelbarer Nähe.

medianet:
Wie wird sich der Green Deal auf Unternehmen außerhalb der Energiebranche auswirken?
Deeg: Die Gefahr, dass energieintensive Industrien Europa nach und nach verlassen, ist nicht von der Hand zu weisen. Hohe Energiekosten und zu wenig verfügbarer oder zu teurer grüner Wasserstoff könnten dazu führen, dass Unternehmen der günstigen grünen Energie folgen und Standortentscheidungen außerhalb Europas treffen. Dem kann Europa nur entgegenwirken, indem es eine aktive Industriepolitik betreibt, niedrigere Energiepreise anstrebt und entsprechende Anreize für die innereuropäische Produktion bzw. die Ansiedlung neuer Produktionskapazitäten in Europa schafft.

medianet:
Ist unsere Gesellschaft bereit für einen so tiefgreifenden Wandel, wie er zur Bekämpfung des Klimawandels erforderlich scheint?
Deeg: Die Bekämpfung des Klimawandels und das Erreichen unserer Klimaziele wird riesige Investitionen erfordern. Durch eine höhere CO2-Bepreisung wird es zu Preiserhöhungen kommen. Um Friktionen in der Gesellschaft zu vermeiden, müssen die Maßnahmen nicht nur gut kommuniziert, sondern vor allem auch handwerklich gut gemacht werden. Nur das schafft die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung.

medianet:
Sehen Sie die Gefahr einer ‚Greenflation' in den nächsten Jahren?
Deeg: Die Kosten zur Bekämpfung des Klimawandels werden enorm steigen. Dies wird nicht ohne Einfluss auf die Inflationsrate bleiben. Die Greenflation dürfte aber insgesamt weniger sichtbar sein als die auch weiter auftretenden Schwankungen bei den Öl- und Gaspreisen, die die Inflationsrate teils klar dominieren, die sogenannte Fossilflation.

Es ist davon auszugehen, dass die Greenflation über mehrere Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, wirken wird. Insbesondere bei ‚grünen' Rohstoffen, also jenen Rohstoffen, die für die grüne Transformation der Wirtschaft benötigt werden, dürfte der Markt die steigende Nachfrage und somit auch den steigenden Preisdruck weiterhin unterschätzen. Unternehmen werden zudem versuchen, einen möglichst großen Teil des Anstiegs ihrer Herstellungskosten durch CO2-Bepreisung, etc. an ihre Kunden weiterzugeben. Auch dies dürfte die Preise und damit die Inflation mittelfristig weiter antreiben.

Hinzu kommen die sogenannte Climateflation, also Preissteigerungen, die durch die bereits stattfindenden klimatischen Veränderungen ausgelöst werden, und letztlich die Kosten des Klimawandels selbst. Das sind z.B. steigende Preise durch Ernteausfälle im Zuge von Hitzewellen und Produktionsunterbrechungen aufgrund von Unwettern. Auch Logistikprobleme, wie etwa die zeitweise Einstellung der Rheinschifffahrt aufgrund des Niedrigwassers 2018, zählen zu dieser Kategorie.

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