••• Von Martin Rümmele
WIEN. Wenn weniger als einer von 2.000 Menschen von einer bestimmten Krankheit betroffen ist, gilt diese Erkrankung als sogenannte seltene Erkrankung. Experten schätzen, dass es derzeit 7.000 bis 8.000 derartige seltene Erkrankungen gibt. Hochgerechnet, ist damit die Zahl derjenigen, die an diesen Krankheiten leiden, groß. Allein in Österreich wird sie auf rund 400.000 geschätzt. Zum Vergleich: An der Zivilisationskrankheit Diabetes sind aktuell rund 600.000 Menschen erkrankt.
Teure Forschung
Das Problem seltener Erkrankungen ist neben der Diagnose, die meist nur Spezialisten wirklich treffen können, auch die Therapie. Die Entwicklung von Medikamenten für so kleine Zielgruppen ist aufwendig, die Medikamente meist entsprechend teuer. Patienten mit seltenen Erkrankungen stehen tagtäglich vor enormen Herausforderungen. Nach wie vor irren sie von Pontius zu Pilatus, um eine verlässliche Diagnose zu erhalten. Es mangelt an erfahrenen Ärzten, Medikamenten oder Therapien; die klinische Forschung gehöre deshalb massiv aufgewertet, fordern Experten. Über die Höhe der Kosten für die Versorgung gibt es nicht zuletzt deshalb nur Schätzungen. Auf der Basis einer Studie, die allerdings aus dem Jahr 2013 stammt, gab die soziale Krankenversicherung für Orphan Drugs österreichweit 98,6 Mio. € aus, das entspricht einem Anteil von 3,74% der gesamten Medikamentenkosten.
Bei einem Symposium zum Thema „From Rare to Care: Discovery, Modeling and Translation of Rare Diseases” kamen zu Jahresende Experten am Vienna BioCenter und seinen Instituten IMP, IMBA und GMI zusammen. Neueste Methoden und Erkenntnisse beim Identifizieren und Editieren von Genen in deren Funktionsnetzwerken standen im Vordergrund. Stammzellpionier und Wissenschaftlicher Direktor des IMBA, Jürgen Knoblich, und IMBA-Gründungsdirektor Josef Penninger gaben Einblicke über die Anwendungen von Organoiden aus Stammzellen und ihr Potenzial für seltene Erkrankungen. Denn oft ist ein Gendefekt die Ursache für die Erkrankung.
Nationaler Aktionsplan
Seit 2015 besteht der Nationale Aktionsplan für seltene Erkrankungen, „NAP.se”. Eine der wichtigsten Maßnahmen darin ist die Schaffung von Expertisezentren. Doch bisher gibt es erst wenige davon. Die Ernennung von Expertisezentren hat weitreichende Konsequenzen: Sie tragen nicht nur dazu bei, Expertise zu bündeln und damit die Behandlung von Patienten mit seltenen Erkrankungen zu verbessern, sondern sie öffnen auch die Tür nach Europa. „Die Bundesregierung hat seltene Erkrankungen explizit in ihr Regierungsprogramm aufgenommen. Das ist erfreulich und gibt Anlass zur Hoffnung, dass zeitnah konkrete Schritte für die Versorgung von Betroffenen gesetzt werden”, sagt Martin Munte, Präsident des Pharmaverbandes Pharmig.
Österreich forscht intensiv
Eine wichtige Rolle bei der Erforschung seltener Erkrankungen spielt auch Österreich. So laufen hier nicht nur zahlreiche Studien und Forschungen am ViennaBioCenter, auch die Herstellung ist führend und wächst: Am 7. Jänner gab wie berichtet das japanische Pharmaunternehmen Takeda offiziell die Übernahme von Shire bekannt. Das Unternehmen hat Forschungs- und Produktionsstandorte in Österreich. Takeda ist seither das weltweit führende Unternehmen in der Versorgung von Patienten mit seltenen Erkrankungen. Zusammen mit Microsoft und EURORDIS-Rare Diseases Europe, einer gemeinnützigen Allianz mit über 800 Patientenorganisationen aus 70 Ländern, hat man eine globale Kommission zur Beendigung der Diagnose-Odyssee für Kinder gestartet. Denn 75% der Erkrankten sind Kinder.