Rückverfolgbarkeit: Ein Trend, der bleibt
© GS1 Austria/Katharina Schiffl
RETAIL Redaktion 03.09.2021

Rückverfolgbarkeit: Ein Trend, der bleibt

Gregor Herzog, Geschäftsführer von GS1 Austria, über Rückverfolgbarkeit als Bedürfnis und Distinktionsmerkmal.

••• Von Oliver Jonke und Paul Hafner

Die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln ist ein Thema, das durch die Coronakrise und im Zuge des damit einhergehenden Regionalitäts-Booms weiter an Fahrt aufgenommen hat. medianet traf GS1 Austria-Geschäftsführer Gregor Herzog zum Interview über ein Trendthema, „das mit Sicherheit bleiben wird”.

medianet: GS1 Austria erbringt eine Reihe verschiedener Dienstleistungen für Industrie und Handel. Wie lassen sich diese zusammenfassen?
Gregor Herzog: Wir bearbeiten im Wesentlichen zwei große Themenfelder. Das ist zum einen alles rund ums Thema Standards, Identifikation und dem, was landläufig mit ‚Barcodes' gemeint ist. In diesem Bereich servicieren wir etwa 13.000 Kunden, die von uns weltweit eindeutige Identifikationsnummern erhalten und GS1-Standards verwenden. Unser zweites große Thema ist der Informationsaustausch zwischen Industrie und Handel, wo wir als Datendrehscheibe fungieren: Unser Tätigkeitsfeld umfasst alles, was überbetrieblich zwischen Handel und Industrie an Daten ausgetauscht wird – Produktstammdaten, Transaktionsdaten und sogenannte Event- oder Ereignisdaten.

medianet:
Ein zunehmend wichtiges Thema gerade bei Fleisch- und Wurstwaren ist die Rückverfolgbarkeit. Inwiefern werden diesbezügliche Daten von GS1 Austria erfasst?
Herzog: Wir unterscheiden grundsätzlich drei Arten von Daten: Stammdaten, die das Produkt beschreiben – da sprechen wir von rund 300.000 Artikelnummern in unserem Datenpool GS1 Sync, zu denen wir konsumenten- wie B2B-relevante Daten digitalisieren; Transaktions- oder Bewegungsdaten, da geht es um elektronische Bestellungen, Lieferscheine, Rechnungen und dergleichen; und schließlich Eventdaten, die Auskunft geben, was wo und wie mit dem Produkt gemacht wurde – hier geht es sozusagen um die Geschichte des Produkts, und damit ist ‚GS1 Trace', unser Rückverfolgbarkeitsservice, angesprochen. Wo ist ein Schwein aufgezogen, gemästet und geschlachtet worden? Wann und von wem ist es geschlachtet worden? Wer hat es zerlegt und zu welchem Produkt wurde es verarbeitet?

medianet:
Stellen Sie hier auch ein erhöhtes Interesse und Verlangen seitens der Kunden fest?
Herzog: Auf jeden Fall. Für mich persönlich spannend ist die Emotionalität, die seitens der Konsumenten gerade bei Monoprodukten sehr ausgeprägt ist – beim Schnitzerl ist es uns wichtig, dass es aus der Region kommt und unseren ethischen Kriterien entspricht. Bei komplexeren Produkten – mein Beispiel ist hier immer der Energydrink – scheint es hingegen eine Mehrheit oft nicht einmal zu interessieren, was im Produkt drin ist, jedenfalls kaum, woher die Zutaten kommen. In den meisten Fällen konzentriert man sich auf die Primärzutat.

medianet:
Gibt es eine derartige Diskrepanz auch innerhalb des Fleisch- und Wurstsegments?
Herzog: Durchaus. Verarbeitete Fleischprodukte wie Wurst sind weniger emotional aufgeladen als das unverarbeitete Monoprodukt. Der heimische Handel wirbt ja auch mit Frischfleisch aus Österreich, der Schinken auf der Tiefkühlpizza ist hingegen – zumindest derzeit – noch weit weniger interessant. Vielleicht kommt das aber noch.

medianet:
Welche Fleischarten sind denn leichter rückverfolgbar und welche schwerer?
Herzog: Generell ist Fleisch meist ein lokales Produkt. Die Lieferketten im Vergleich zu anderen Produkten sind relativ kurz – natürlich mit Ausnahmen wie argentinischen Steaks. Entsprechend kann das Monoprodukt Fleisch, wo man auch nicht das Problem vermischter Chargen hat, sehr gut und genau rückverfolgt werden. Ein ganz wesentlicher Bereich, der Fleisch von anderen Produkten unterscheidet – und auch den Wunsch nach Rückverfolgbarkeit erklärt –, ist das Thema Tierwohl: Immer mehr Konsumenten wollen sicherstellen, dass die Produktion des Fleischs unter Bedingungen erfolgt ist, denen gewisse Standards zugrunde liegen.

medianet:
Wie wird sich die Rückverfolgbarkeit von Fleisch- und Wurstwaren entwickeln?
Herzog: Für mich ist diesbezügliche Marktforschung immer dann interessant, wenn sie den Preis miteinbezieht. Natürlich greift der Kunde lieber zum Bio-Produkt – aber darf es auch mehr kosten? Leitend für die weitere Entwicklung des Themas Rückverfolgbarkeit wird einerseits natürlich die Frage sein, was und wie viel die Konsumenten wissen wollen; umgekehrt schafft aber auch der Handel ein starkes Verkaufsargument, wenn er die Herstellungskette seiner Produkte abbilden kann – auch, wenn sich der Konsument bis jetzt noch nicht für den Schinken auf der Tiefkühlpizza interessiert hat.

medianet:
Bei welchen Produktgruppen sehen Sie dieses Entwicklungspotenzial noch?
Herzog: Bis dato betrifft Rückverfolgbarkeit im Handel hauptsächlich das Fleisch- und Fischsortiment, aber auch im gesamten Frischebereich wie zum Beispiel im MoPro-Segment und bei Obst und Gemüse wird Rückverfolgbarkeit zunehmend zum Thema. Man muss das auch von der ökonomischen Seite betrachten: Wo können sich Händler und Hersteller heute noch differenzieren? Die Qualität ist in vielen Bereichen hervorragend, doch bei den Produktionsbedingungen gibt es Unterschiede, auf die jetzt schon und künftig noch mehr Augenmerk gelegt wird. Beim Thema Rückverfolgbarkeit gibt es also verschiedene Treiber. Das ist ein Thema, das mit Sicherheit bleiben wird. Auch wird derzeit diskutiert, ob eine mögliche verpflichtende Herkunftskennzeichnung von verarbeiteten Lebensmitteln und in der Gemeinschaftsverpflegung Sinn macht.

medianet:
Welche konkreten ­Lösungen bietet GS1 zur Rückverfolgbarkeit?
Herzog: Da es in diesem Bereich keine ‚One fits for all'-Lösung gibt, bieten wir hier eine Art Menükarte, das heißt standardbasierte Lösungen je nach Kundenwunsch bzw. auch je nach gesetzlichen Rahmenbedingungen. Für den Fall, dass die Herkunft immer gleich bleibt, kann die Herkunftsangabe als Teil der Produktinformation im Stammdatenpool GS1 Sync abgebildet werden. Variieren Herkunftsangaben von Charge zu Charge, so können diese Informationen durch einen EDI-Lieferschein mittels elektronischem Datenaustausch bereitgestellt werden. Soll die gesamte Lieferkette zwischen Herkunft und Endprodukt nachvollziehbar sein, dann geht es um die bereits angesprochenen Eventdaten, wo und wann wie produziert und verarbeitet wurde. GS1 Trace bringt Sicherheit und Transparenz entlang der Wertschöpfungskette; es wird bereits im Fleisch- und Fischbereich erfolgreich angewandt, und in nächster Zeit werden Obst und Gemüse folgen.

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