Die türkis-grünen Pläne im Gesundheitsbereich
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HEALTH ECONOMY Redaktion 10.01.2020

Die türkis-grünen Pläne im Gesundheitsbereich

Gesundheit wird künftig stärker als Querschnittsmaterie gesehen, und Prävention gewinnt an Bedeutung.

••• Von Martin Rümmele

Standort- und Industriepolitik, Umwelt, Pensionen, Integration, Armut, Pflege, Frauen und Sport: Das Thema Gesundheit kommt in vielen Bereichen des Regierungsprogramms von ÖVP und Grünen vor. Das Thema wird umfassender gesehen, als bei Vorgängerregierungen. Das findet durchaus Zustimmung im Gesundheitsbereich, denn auch das reine Gesundheitskapitel wirkt recht detailliert und nimmt Bezug auf alle wichtigen und aktuell diskutierten Bereiche.

Ambitioniertes Programm

Türkis-Grün habe ein „durchaus ambitioniertes Programm für eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung der Bevölkerung” vorgelegt, sagt etwa die Präsidentin der Österreichischen Apothekerkammer, Ulrike Mursch-Edlmayr: „Wir begrüßen ausdrücklich das klare Bekenntnis zu einer hochwertigen, flächendeckenden und umfassenden Medikamentenversorgung für die gesamte Bevölkerung durch das bewährte System der öffentlichen Apotheken sowie die Anerkennung und Verankerung der Apothekerschaft als wichtige Säule im Gesundheitssystem. Ebenfalls bedeutsam sehen wir die enthaltenen Impulse für Wissenschaft und Forschung.”

Positiv sieht auch die Pharmaindustrie das Regierungsprogramm: „Im Speziellen sehen wir in der in Europa einzigartigen Regierungskonstellation von Volkspartei und Grünen eine Chance, Standortpolitik und Nachhaltigkeit gleichermaßen zu verfolgen”, sagt Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog. „Erfreulich ist jedenfalls, dass das Regierungsprogramm unter anderem einen klaren Fokus auf die Weiterentwicklung des Forschungsstandorts Österreich legt.” Zustimmung kommt auch aus der Ärztekammer zur Person des neuen Ministers Rudolf Anschober von den Grünen und zum von der Regierung geplanten Facharzt für Allgemeinmedizin. Die Österreichische Ärztekammer blickt der gemeinsamen Umsetzung positiv entgegen, sagt ÖÄK-Präsident Thomas Szekeres. Erste Kritik kommt aber von ÖÄK-Vizepräsident Harald Mayer. Der Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte ortet eine Verschlechterung des Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetzes im Programm der kommenden Regierung. „Dieses Gesetz wurde 2014 aus gutem Grund abgeändert”, erinnert der ÖÄK-Vizepräsident: „Es geht um nicht weniger als den Schutz der Patientinnen und Patienten und gleichzeitig um den Schutz von Ärztinnen und Ärzten vor zu langer Arbeitszeit. Deren Sicherheit zu gefährden, kann nicht ernsthaft Ziel der Regierung sein. Eine Verlängerung des Opt-out über Juni 2021 hinaus ist nicht verhandelbar.”

Gesundheit für die Wirtschaft

Im Detail zeigen sich viele Zusammenhänge im Regierungsprogramm. Zum ersten Mal taucht die Gesundheit im 326 Seiten starken Papier im Kapitel Standort- und Industriepolitik auf, wenn die Gesundheitswirtschaft als eine der Stärken Österreichs genannt wird und wo die Regierung Grundlagenforschung, angewandter Forschung und industrielles Know-how stärken will. Spannend wird es auch im Kapitel Pensionen. „Wir wollen, dass Österreicherinnen und Österreicher länger gesundheitlich uneingeschränkt leben können”, heißt es da. Dazu müsse man einen Fokus auf Prävention, Rehabilitation und Stärkung der Gesundheitskompetenz des Einzelnen setzen. „Die Gesundheit der Beschäftigten ist das beste und effektivste Mittel, um das tatsächliche Pensionsalter an das gesetzliche heranzuführen. Investitionen in die Gesundheit von Menschen reduzieren nachweislich Arbeitsunfähigkeit und Kosten im Gesundheits- wie auch im Pensionssystem.”

Menschen sollen in ihrer Arbeit gesund bis ins Pensionsalter kommen. Um das zu erreichen, will die Regierung ein betriebliches Gesundheitsmanagement schaffen, das den Erhalt der Gesundheit von Beschäftigten besonders in den Vordergrund stellt. „Gesundheitserhaltende und -fördernde Maßnahmen werden einsetzen, bevor Menschen schwere Einschränkungen ihrer Arbeitsfähigkeit erleiden. Gesundheitliche Rehabilitation wird in Zukunft bereits frühzeitig und berufsbegleitend als ambulante Rehabilitation verfügbar sein. Wir werden Menschen und Betrieben Mittel in die Hand geben, um reagieren zu können, ehe Menschen gesundheitsbedingt aus der Arbeitswelt ausscheiden.” Dazu soll es Anreize und Unterstützungen für Betriebe geben und das Modell der Wiedereingliederungsteilzeit ausgebaut werden.

Konkrete Pläne

Im Bereich der Gesundheitsversorgung werden im Koalitionspakt von ÖVP und Grünen die Weiterentwicklung der E-Card, der Ausbau der Primärversorgung, die Stärkung der wohnortnahen Versorgung durch Kassenärzte, die Erweiterung der Vertragsarztmodelle, eine Facharztoffensive, Landarztstipendien, die Stärkung der nichtärztlichen Gesundheitsberufe, die Evaluierung der Zugangsbestimmungen zum Medizinstudium und die Einführung eines Facharzts für Allgemeinmedizin genannt. Für Patienten soll es Einschreibmodelle bei Ärzten mit Anreizsystemen geben. Um die Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe zu verbessern, sollen neue Gesundheits- und Sozialberufe gestärkt, psychotherapeutische Leistungen ausgeweitet und ein besonderer Fokus auf Kindergesundheit gelegt werden. Neu ist, dass es eine Aufwertung und einen Aufbau eines Systems von „School und Community Nurses” zur niederschwelligen und bedarfsorientierten Versorgung geben soll. Die telefonische Erstberatung 1450 soll aufgewertet und weiterentwickelt, die telemedizinische Behandlung bestmöglich umgesetzt werden. E-Impfpass, E-Rezept, E-Befund und E-Transportschein sollen kommen.

Kassendefizit steigt

Im Bereich der Sozialversicherung gibt es ein Bekenntnis der Regierung zum Prinzip der Selbstverwaltung, in die umstrittene Kassenreform der ÖVP/FPÖ-Regierung scheint man aber nicht eingreifen zu wollen. Dafür soll „eine verbesserte Abstimmung der medizinischen Versorgung zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherung und damit eine Stärkung der Bundeszielsteuerung mit zielgerichteten Angeboten für die Versicherten” erfolgen. Hier liegt aber wohl auch die größte Herausforderung.

Die neue Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) ist etwa am 1.1. gleich mit einem satten finanziellen Minus gestartet. Für 2020 wird ein Defizit von knapp 175 Mio. € erwartet; das entspricht rund 1,1% der Gesamtausgaben.

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